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Spur ins Eis

Spur ins Eis

Titel: Spur ins Eis
Autoren: Blake Crouch
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geworden.
    Sie ergriff einen Wasserkanister und trug ihn zu ihrer Matratze. Dort setzte sie sich hin und trank durstig. Ob sie sie wohl jetzt gerade beobachteten ?
    Aber wenn ich in der Psychiatrie bin, warum trage ich dann immer noch mein schwarzes Kostüm ?
    Plötzlich kam von draußen ein Laut, der sich vage wie ein Nebelhorn anhörte. Noch einmal ertönte er, und während sie noch darüber nachdachte, machten sie das ständige Summen und der schwankende Boden nervös. Sie blickte zur Decke. Dort war keine Schalldämmung. Sie war aus glänzendem Metall. Und im Zusammenhang mit den schaukelnden Bewegungen, dem Summen und leisen Dröhnen machten auf einmal auch die Ausmaße des Raumes Sinn. Das ist kein psychiatrisches Krankenhaus. Ich bin im Anhänger eines Sattelschleppers.
    Sie begann zu weinen. Ihr ganzer Körper bebte.

11
    Geister
    Der Mann, der jetzt Joe Foster war, fuhr mit dem alten Chevy den Hügel hinunter in den Ort. Es war Mitte Oktober, der Himmel über Colorado war klar blau, auf den Viertausendern der La Platas glitzerte frischer Schnee, und unten im Tal färbten sich die Espen und Hartriegel bunt. Im Westen schimmerten die Umrisse der Mesa Verde im Sonnenlicht des Freitagnachmittags. Er konnte die Autos aufblitzen sehen, die sich auf der Straße durch den Park fortbewegten.
    Er fuhr in den kleinen Ort Mancos und stellte seinen Pickup am Straßenrand ab. Es war kurz vor drei Uhr nachmittags, und im Wagen hörte er das Rauschen der Bäume. Ein goldenes Espenblatt fiel auf seine Windschutzscheibe, blieb einen Moment lang zuckend liegen, bis es von einem Windstoß erfasst und weitergewirbelt wurde.
    Ihr hätte dieser kleine Ort gefallen, dachte er.
    Seine Tochter kam mit den anderen Schülern die Steintreppe der K-12 Schule herunter. Sie unterhielt sich lebhaft mit zwei Freundinnen, das Backpack über die Schulter geschlungen. Die kleine Gruppe trat vom Bürgersteig auf den Grasstreifen und steckte die Köpfe zusammen. Wahrscheinlich machten sie Pläne, dachte er. Versprachen, einander anzurufen. Verbreiteten alberne Gerüchte.
    Er hätte seiner Tochter den ganzen Nachmittag zuschauen können. Er hätte nie damit gerechnet, dass sie das sechzehnte Lebensjahr erreichen würde. Schon vor langer Zeit hatte er sich auf das Schlimmste vorbereitet, hatte sogar schon überlegt, dass er danach seinem Leben selbst ein Ende setzen wollte. Aber sie war nicht gestorben. Ein paar Mal im Jahr wurde sie krank. Zweimal sogar lebensbedrohlich, aber sie erholte sich immer wieder. Die Medikamente und die Physiotherapie halfen anscheinend, und jeder Tag, den sie gesund erlebte, war wie ein Strafaufschub, eine hinausgezögerte Exekution.
    Jetzt kam sie auf seinen Truck zu, aber als er gerade den Wagen anlassen wollte, sprach eine Frau seine Tochter an.
    Er setzte sich auf. Seine Tochter war stehen geblieben. Die Frau war groß, trug einen dunkelblauen Rock und eine weiße Bluse. Das dazugehörige Jackett hatte sie gefaltet über dem Arm. Seine Tochter schüttelte den Kopf. Er konnte nicht hören, was sie sagten, aber als er die Tür öffnen wollte, kam seine Tochter schon zum Auto, während die Frau sich in die entgegengesetzte Richtung entfernte. Die Beifahrertür quietschte, als seine Tochter einstieg.
    »Hey, Baby.« Sie hatten einen neuen Namen ausgesucht, aber er sagte ihn selten. Lieber nannte er sie »Baby« oder »Süße«.
    »Hey, Dad.«
    »Wer war die Frau, mit der du gerade gesprochen hast ?«
    »Sie hat ihren Namen nicht gesagt.«
    »Was wollte sie ?«
    »Sie wollte wissen, wie ich heiße und ob ich hier wohne.«
    Er ließ den Wagen an. Der laute Motor brachte das ganze Auto zum Beben.
    »Warum wollte sie das denn wissen ?«
    »Keine Ahnung. Ich habe sie abgewimmelt und habe gesagt, ich müsse jetzt gehen. Glaubst du, das war eine Polizistin ?«
    »Keine Ahnung.«
    »Kann ich nach Hause fahren ?«
    »Heute nicht, Liebes.« Er legte den Gang ein und fuhr los. Langsam fuhr er an der Schule vorbei und hielt Ausschau nach der Frau. »Was für eine Haarfarbe hatte sie ?«
    »Braun. Sie war hübsch.« Aus den Bürogebäuden strömten jetzt die Manager. Die meisten waren groß, und er konnte die Frau nicht mehr sehen. »Was ist los, Dad ?«
    Sie war nicht da. Nur ein paar Kinder.
    »Du weißt ja, dass du vorsichtig sein musst«, sagte er.
    »Ziehen wir wieder um ?«
    »Das weiß ich noch nicht, Süße. Zumindest nicht heute Abend.« Er wendete und fuhr wieder den Hügel hinauf, aus dem Ort heraus nach Hause.

12
    Das
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