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Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Titel: Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)
Autoren: Joachim Kaiser
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und oberflächlich
die Leistungen der Sänger?
     
    Das ist leider so, weil die differenzierte und exakte Beurteilung einer Gesangsleistung in der Oper viel Fachwissen und noch mehr Feinsinn verlangt. Nicht zufällig versuchen Rezensenten immer wieder, sich mit unpräzisen, adjektivlastigen Formulierungen wie »matte Tiefe«, »frische Höhe«, »schrille Momente« oder »schlechtes Legato« aus der Affäre zu ziehen.
    Um eine gute, vernünftig begründete und nachvollziehbare Kritik der sängerischen Darbietung einer großen Mozart-, Wagner-, Verdi- oder Strauss-Rolle zu schreiben, müsste der Kritiker fundiert in die Tiefe gehen. Falls er beispielsweise die Susanna aus Figaros Hochzeit ins Visier nimmt, müsste er immerhin Folgendes einbeziehen: Susanna kommt als einzige Person in sämtlichen Ensembles der Oper vor, also in sechs Duetten, zwei Terzetten, einem Sextett und drei Finalen. Wenn beispielsweise im ersten Akt ihr Geliebter Figaro fröhlich erzählt, wie fabelhaft er das neue Zimmer findet, das man ihm und Susanna zugewiesen hat, dann gleitet Susanna aus dem B-Dur plötzlich ins g-Moll ab. Sie erläutert dem ahnungslosen Figaro, mit welchem Hintersinn der Graf das neue Gemach ausgesucht hat, woraufhin sich das verdunkelnde Parlando
gleich wieder vom Moll ins Dur erhebt. Susanna passt sich in ihrer Tonlage auch der traurigen Gräfin an oder dem verliebten Cherubino, ihre rätselhafte, schwer interpretierbare Rosenarie singt sie dann wie ein reines Liebesgeständnis. Diese Nuancen und Verästelungen nur mit dem Adjektiv »schelmisch«, »spottlustig« oder »soubrettenhaft« zu umschreiben wäre ungenügend. Denn in großen Opern werden die Figuren durch ihre Arien, ihr melodisches Reagieren und ihre Mitwirkung am Ensemble bis ins kleinste Detail charakterisiert und ausbalanciert.
     
    Ich habe einmal ein Who’s Who aller Mozart’schen Opernfiguren geschrieben. Ich wollte zeigen, wie diese Figuren charakterisiert werden durch den dramatischen Zusammenhang, durch das, was sie singen, was das Orchester tut, was die anderen singen, was im Text steht. Beim Verfassen des Buches habe ich einmal mehr bemerkt, wie engmaschig dieses Netz verwoben ist.
    Eine Opernrezension sollte immer sehr konkret herausarbeiten, was in den Rollen alles steckt. Was hat sich der Komponist dabei gedacht? Wie hat es der Regisseur umgesetzt? Das muss so erläutert werden, dass die Leser, also auch Laien, es ohne umfangreiches Vorwissen verstehen. Das verlangt viel Sorgfalt beim Kritiker und Geduld beim Leser – und das Bewusstsein, dass große Kunst immer auch Themen von gesellschaftlicher Bedeutung behandelt.
    All das trifft man im modernen Opernbetrieb immer seltener an. Der ist stark vom Regietheater geprägt,
von Aktualisierungen und von interpretationswütigen Kritikern, die am liebsten eine möglichst sensationelle Umdeutung des Werkes herbeischreiben wollen und dann die Sänger eher pauschal und pflichtschuldig abhandeln.
     
    Was ich von solchen Gegenwartstendenzen halte? Eher wenig. Denn wenn es in der Oper – immerhin eine Kunstform, in der die singende Seele all ihre Affekte voller Leidenschaft in Tönen ausdrückt – aufs Singen kaum noch ankommt, dann kommt es auch auf die Oper selber nicht mehr an.

Musik in meinen Ohren
    Gibt es ein Comeback des traditionellen
Theaters?
     
    Trotz vieler Glücksmomente haben mich die Theatererlebnisse der letzten fünfzig Jahre zu einem Kulturpessimisten werden lassen. Sosehr ich es mir auch wünschen würde: Ein Comeback des traditionellen Theaters lässt sich nirgendwo erkennen. Vielmehr muss man nüchtern konstatieren, dass sich das moderne Regietheater mit seinen werkverfälschenden und Unverständnis produzierenden Inszenierungen auf breiter Front durchgesetzt hat. Diese Aussage klingt sicher nach einem Plädoyer für Werktreue. Aber selbst der Großmeister Fritz Kortner hat einmal gesagt, dass Werktreue letztlich nichts anderes sei als Faulheit. Und tatsächlich kann eine passive, leidenschaftslose, fantasielose Werktreue an Faulheit grenzen. Da ist mir eine fantasievolle, überraschende, verdeutlichende Freiheit der Regie allemal lieber. Nur muss sie meiner Meinung nach mit der musikalischen Aussage übereinstimmen.
    Man kann bzw. muss also diskutieren, ob eine Inszenierung, die auf Aktualisierung und Gegenwartsbezug abzielt, der Entfaltung der Musik dient oder sie zum bloßen Hintergrundgeraune degradiert. Ein Beispiel: Der Regisseur Karl-Ernst Herrmann hat vor gut
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