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Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung

Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung

Titel: Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung
Autoren: Burkhard Schneeweiß , Theodor Hellbruegge
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wenn sie ihr Baby anregen und seine Aufmerksamkeit wecken (M. Papoušek et al. 1991). Die prosodischen Modifikationen der Ammensprache helfen dem Baby, unterschiedliche melodische Konturen zu differenzieren und die darin verschlüsselten affektiven Botschaften und kommunikativen Absichten der Eltern zu verstehen und zu befolgen: das Anregen, Wecken und Ausrichten der Aufmerksamkeit ebenso wie das Bestärken, Beruhigen und Trösten (M. Papoušek et al. 1990).
    Darüber hinaus vermittelt die elterliche Sprechweise dem Säugling auch phonologische und semantisch bedeutsame Informationen. Sie verdeutlichenVokale und andere Lautkontraste durch Dehnung und prototypische Aussprache (Englund 2005; Liu, Tsao & Kuhl 2007; Ratner 1984). Und sie nutzen die verstärkte Prosodik zur Segmentierung und zum Hervorheben von semantisch bedeutsamen Einheiten (Fernald & Mazzie 1991; Kemler-Nelson et al. 1989; Thiessen et al. 2005).
Stimmliche Aneignung des muttersprachlichen Lautinventars
    Beim Erwerb der stimmlich-sprachlichen Kommunikation zählen zunächst nicht die Laute an sich, sondern die sie erzeugenden stimmgebenden und artikulatorischen Bewegungsmuster (Liberman & Whalen 2000). Das Schrittmaß der stimmlichen Aneignung des muttersprachlichen Lautinventars wird nicht nur von anatomischen und motorischen Reifungsprozessen bestimmt, sondern erfordert Erfahrungen mit eigener aktiver Lautbildung und mit der stimmlich-sprachlichen Responsivität des Gegenübers, Erfahrungen, die die direkte Übersetzung der sensorischen Wahrnehmung des muttersprachlichen Lautinventars in muttersprachliches Artikulieren ermöglichen.
Reifungs- und Lernprozesse
    Ein Beispiel der anatomischen Reifungsprozesse sind die einzig beim menschlichen Säugling nachgewiesenen Veränderungen des Stimmtraktes im Laufe der ersten drei Monate, die den Resonanzraum für die Vokalbildung (Mund- und Rachenraum) erweitern und den Artikulatoren (vor allem der Zunge) ein freieres Spiel ermöglichen (Ploog 1992). Ein Beispiel der neuromotorischen Reifung ist der Beginn der kanonischen Silben, etwa im Alter von 7 Monaten, der zeitlich mit der Myelinisierung motorischer corticobulbärer Bahnen in Verbindung gebracht wird (Jürgens 1992). Diese erlaubt, unter Einfluss des eigenen auditiven Feedbacks, die erforderliche feinmotorische Kontrolle der Koordination von Stimmbändern und Artikulatoren.
Klassische Stadien der Vokalisationsentwicklung
    Die Fortschritte der stimmlichen Lernprozesse im 1. Lebensjahr – von unspezifischen Grundlauten über universell sprachliche Laute hin zum Beginn der spezifisch muttersprachlichen Artikulation – wurden anhand akustischer und phonetischer Analysen in eine gestufte Stadienfolge gegliedert (Hsu et al. 2000;Oller 2000; M. Papoušek 1994; Weissenborn 2005). Die Vokalisationsentwicklung beginnt demnach nicht, wie viele postulieren, mit dem Schreien, sondern mit unscheinbaren kurzen Grundlauten, die eine andere, bereits für das Sprechen typische Stimmgebung aufweisen. Der Säugling erprobt das feinmotorisch zunehmend anspruchsvollere Zusammenspiel von Phonatoren (Atmung, Kehlkopf und Stimmbänder) und Artikulatoren (Lippen, Zunge, Unterkiefer, oropharyngealer Resonanzraum) und lernt es im Dienst der sprachlichen Lautbildung zu koordinieren und unter Kontrolle zu bringen. Im
Vorsilbenstadium
des ersten Halbjahres steht das Einüben von Stimmgebung und universellen Merkmalen der Lautbildung im Vordergrund. Im Laufe des 2. Monats werden die Grundlaute von den besonders wohlklingenden Gurrlauten abgelöst, indem sie an Resonanz und vokalartiger Qualität gewinnen und durch melodische Modulation und noch primitive gutturale Artikulationen bereichert werden. In der folgenden
Expansionsphase
wird das Lautbildungspotential des Stimmtraktes in vollem Umfang ausgelotet – mit Höhen und Tiefen, unterschiedlichen Klangfarben, Melodien und Lautstärken, Flüstern, Kreischen und den besonders beliebten Prustlauten. Darüber hinaus lassen sich Vorstufen von Konsonanten und Silben und ein dem Sprechtakt ähnelndes stimmlich-rhythmisches Segmentieren der Ausatmungsphase erkennen. Einen Meilenstein in der Vokalisationsentwicklung setzt im mittleren Alter von 7 Monaten der Beginn des
kanonischen Silbenplapperns
, von rhythmischen Sequenzen regulärer Silbenketten oder Doppelsilben (dadadada; gaga) (Oller & Eilers 1988). Das von intakten Hörfähigkeiten abhängige Silbenplappern imponiert bereits als Sprache, indem es akustisch die phonetischen
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