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Splitter

Splitter

Titel: Splitter
Autoren: Sebastian Fitzek
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fürchte, Sie verstehen da etwas falsch. Ich will mich nicht untersuchen lassen. Der Professor wollte mir nur den Ablauf des Experiments erklären. Rein hypothetisch, denn so, wie es aussieht, will ich daran gar nicht mehr teilnehmen.«
    Menardi legte den Kopf schräg und prüfte mit einer ungeduldigen Handbewegung, ob ihr Dutt noch richtig saß. »Ach ja? Mir wurde gesagt, Sie wären unser nächster Kandidat für MME.«
    »MME?«
    »Das MemoryExperiment, mit dem der Chefarzt Sie gleich vertraut machen wird, sobald die Visite vorbei ist. Lassen Sie uns die Zeit nutzen und mit der Aufnahme Ihrer Patientendaten beginnen.«
    Mare seufzte und sah auf seine Uhr.
    »Sie verschwenden Ihre Zeit«, sagte er, setzte sich aber trotzdem der Ärztin gegenüber, die wieder Platz genommen hatte. Sie schenkte ihm ein Glas Wasser aus einer Karaffe ein und öffnete eine kleine Handakte, die auf einem Couchtisch zwischen ihnen gelegen hatte.
    »Mare Lucas, zweiunddreißig Jahre alt, Studium der Rechtswissenschaft mit Prädikatsabschlüssen.« Sie tippte anerkennend auf den entsprechenden Abschnitt des vor ihr liegenden Fragebogens, den Marc vorhin im Wartezimmer gemeinsam mit der Verschwiegenheitserklärung hatte ausfüllen sollen. Kurz nach der Hälfte der Fragen hatte er allerdings keine Lust mehr gehabt und abgebrochen.
    »Beide Examen mit gut, ebenso die juristische Promotion im Jugendstrafrecht, Respekt. Das schaffen nur sehr wenige, soweit ich weiß.«
    Sie nickte anerkennend.
    »Und Sie arbeiten jetzt als Streetworker mit sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen in Neukölln?«, fragte sie in beiläufigem Tonfall.
    Ihr Blick streifte die Uhr an Marcs rechtem Handgelenk. »Ein Imitat aus Thailand«, log er und schob einen Zeigefinger unter das lockere Armband. Er hatte keine Lust, zu erklären, wie er sich mit dem Gehalt eines Sozialarbeiters eine Luxusuhr im Wert eines Mittelklassewagens leisten konnte - auch wenn es nur ein Geburtstagsgeschenk von Sandra war. »Ihr Vater war ebenfalls Jurist.« Sie zog ein Foto aus ihrer Akte und hielt es so, dass Marc nichts erkennen konnte. »Sie kommen nach ihm«, sagte sie und blätterte weiter. Marc verzog keine Miene, obwohl er Menardi am liebsten den Fragebogen aus der Hand gerissen hätte. Die Ähnlichkeiten mit seinem Vater waren tatsächlich frappierend, fielen Außenstehenden jedoch selten auf, da die Übereinstimmungen weniger das Äußere als vielmehr Charakter und Lebenseinstellung betrafen. Auch Frank Lucas war ein Kämpfer gewesen, hatte ebenso wie Marc das Abitur an der Abendschule nachgeholt, um sich dann als Anwalt den kleinen Leuten zu widmen. Am Anfang, als er sich noch kein eigenes Büro hatte leisten können und die Kanzlei im Wohnzimmer untergebracht war, saß die halbe Nachbarschaft bei ihm auf der Couch und ließ sich von Frank beraten. Betrogene Ehefrauen, Trunkenheitsfahrer, Kleinkriminelle, die bei ihren Gaunereien erwischt worden waren. Der Kiez nutzte Papa Lucas mehr als Seelsorger denn als Anwalt. Nicht selten stundete er seinen »Freunden« das Honorar oder ließ es sogar ganz unter den Tisch fallen, auch wenn es von Mama Lucas dann ein Donnerwetter setzte, weil sie mit der Miete im Rückstand waren. Doch einige der Kleinkriminellen, die er pro bono behandelt hatte, machten Karriere. Ganoven, die auf einmal bar bezahlen konnten und nie eine Quittung wollten. Und mit dem Abstieg seiner Klienten begann der sanfte Aufstieg der Kanzlei, wenn auch nur für kurze Zeit.
    »Ihr Vater starb früh an einer unerkannten Leberzirrhose, Ihre Mutter, eine Hausfrau, wenige Monate später«, fuhr Menardi fort.
    Woher weiß sie das alles?
    Wenn ihn seine Erinnerung nicht trog, hatte er diese und die folgenden Spalten des Fragebogens nicht mehr ausgefüllt. »Sie haben einen jüngeren Bruder, Benjamin?«, fragte Menardi weiter.
    Ein leichter Druck legte sich um Marcs Hals, und er griff zum Wasserglas. Offenbar hatte die Neurologin ihre Zeit mit einer Online-Recherche über ihn vergeudet.
    »Benny. So nannte er sich zumindest, als ich ihn das letzte Mal gesprochen habe.«
    »Und wann war das?«
    »Nun, lassen Sie mich nachdenken.« Marc trank einen Schluck und stellte das Wasserglas auf den Couchtisch zurück.
    »Das war, ähm … Montag, Dienstag, Mittwoch …« Er zählte die einzelnen Wochentage an den Fingern ab. »Also grob geschätzt an einem Donnerstag. Vor etwa anderthalb Jahren.«
    »Am Tag seiner Zwangseinweisung?« Menardi klappte die Akte zu und tippte sich mit
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