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Spin

Spin

Titel: Spin
Autoren: authors_sort
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Sonnenlicht mochte gefälscht sein, gefiltert, aber es brach sich noch immer in Farben, wenn es durch herabfallendes Wasser drang, und es fühlte sich nach wie vor wie ein Segen an, wenn wir aus dem Schatten der Eichen auf den glitzernd weißen Bürgersteig fuhren.
    Nach zehn oder fünfzehn Minuten bequemer Fahrt türmte sich der höchste Abschnitt der Bantam Hill Road vor uns auf – letztes Hindernis und wesentlicher Markstein auf dem Weg zur Mall. Die Bantam Hill Road war sehr steil, aber auf der anderen Seite wartete dann eine schön lange, sanfte Abfahrt bis zu den Parkplätzen der Mall. Jason hatte bereits ein Viertel des Anstiegs bewältigt.
    Diane sah mich verschmitzt an. »Fahren wir um die Wette«, sagte sie.
    Das war ziemlich schrecklich. Die Zwillinge hatten im Juni Geburtstag; ich erst im Oktober. Jeden Sommer waren sie also nicht nur ein, sondern zwei Jahre älter als ich: sie waren vierzehn geworden, während ich noch vier frustrierende Monate lang zwölf blieb. Der Unterschied machte sich auch als körperlicher Vorteil bemerkbar. Diane wusste, dass ich sie bergauf nicht schlagen konnte, aber sie trat dennoch energisch in die Pedalen und ich versuchte seufzend, meine quietschende alte Kiste auf ein konkurrenzfähiges Tempo zu steigern. Es war kein wirklicher Wettkampf. Diane hob sich aus dem Sattel ihrer strahlenden Maschine aus mattgeschliffenem Aluminium, und als sie die Steigung in Angriff nahm, hatte sie bereits einen mächtigen Schwung aufgebaut. Drei kleine Mädchen, die damit beschäftigt waren, Kreidemuster auf den Bürgersteig zu malen, sprangen eilig aus dem Weg. Sie warf einen Blick zu mir zurück, halb ermunternd, halb spöttisch.
    Die steile Straße raubte ihr natürlich den Schwung, doch sie schaltete in einen tieferen Gang und ließ die Beine geschmeidig ihre Arbeit verrichten. Jason, inzwischen oben angelangt, hatte angehalten und hielt sich mit einem langen Bein im Gleichgewicht, während er belustigt zurückblickte. Ich mühte mich weiter, aber nach der Hälfte des Anstiegs schwankte mein Rad mehr, als dass es sich voranbewegte, und ich war gezwungen, abzusteigen und den Rest des Weges zu Fuß zu gehen.
    Als ich endlich ankam, grinste mir Diane entgegen.
    »Hast gewonnen«, sagte ich.
    »Tut mir Leid, Tyler. Es war nicht gerade fair.«
    Ich zuckte verlegen mit den Achseln.
    Die Straße endete hier in einer Sackgasse, in der Baugrundstücke abgesteckt, aber noch keine Häuser errichtet worden waren. Die Mall lag westlich am Fuße eines langen sandigen Abhangs. Ein ausgestampfter Pfad schnitt durch struppige Bäume und Beerenbüsche. »Wir sehen uns unten«, rief Diane und rollte wieder davon.
     
    Wir schlossen unsere Räder ab und betraten das gläserne Hauptschiff der Mall. Die Mall war ein beruhigender Ort, hauptsächlich weil sie sich seit letztem Oktober so wenig verändert hatte. Zeitungen und Fernsehen mochten nach wie vor in ständiger Alarmbereitschaft sein – die Mall lebte in seliger Abkehr von der Realität. Der einzige Hinweis darauf, dass in der Welt draußen etwas schief gelaufen sein könnte, war das Fehlen von Satellitenschüsseln im Angebot der Elektronikmärkte und ein ganzer Schwung von »Oktober«-Titeln in der Auslage des Buchladens. Jason schnaubte angesichts eines Paperbacks mit blaugoldenem Hochglanzcover, ein Buch, das den Anspruch erhob, das Oktober-Ereignis mit biblischen Prophezeiungen zu erklären. »Die einfachste Sorte Prophezeiung«, sagte er, »ist die, die etwas vorhersagt, was bereits geschehen ist.«
    Diane sah ihn genervt an. »Auch wenn du nicht daran glaubst, brauchst du dich noch längst nicht darüber lustig zu machen.«
    »Genau genommen mache ich mich nur über den Einband lustig. Das Buch selbst habe ich ja nicht gelesen.«
    »Solltest du vielleicht.«
    »Warum? Was verteidigst du denn hier?«
    »Ich verteidige gar nichts. Aber vielleicht hat Gott etwas mit dem vergangenen Oktober zu tun. Das scheint mir keine so lächerliche Vorstellung zu sein.«
    »Nun, tatsächlich ist das, ja, doch, eine ziemliche lächerliche Vorstellung.«
    Sie verdrehte die Augen und stapfte, vor sich hinseufzend, voraus. Jase stellte das Buch zurück ins Regal.
    Ich sagte ihm, dass die Leute meiner Meinung nach einfach nur verstehen wollten, was geschehen sei, und dass es deshalb solche Bücher gebe.
    »Oder vielleicht wollen sie auch nur so tun, als würden sie verstehen wollen. Das nennt man Realitätsverweigerung. Willst du mal was wissen,
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