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Spillover

Spillover

Titel: Spillover
Autoren: David Quammen
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»einer ziemlich traumatischen Zeit«. Er hatte die leidenden Tiere weiterhin mit allen Mitteln behandelt, die ihm angesichts der nicht schlüssigen Diagnose zur Verfügung standen: Antibiotika, Flüssigkeitsersatz, Schockverhinderung.
    Mittlerweile war auch Vic Rail selbst krank geworden. Ebenso der Pferdepfleger. Erst sah es so aus, als hätten beide eine schlimme Grippe. Rail ging ins Krankenhaus, wo sich sein Zustand verschlechterte, und nach einer Woche auf der Intensivstation starb er. Seine Organe hatten versagt, und er konnte nicht mehr atmen. Bei der Obduktion stellte sich heraus, dass die Lunge mit Blut und anderen Flüssigkeiten angefüllt war, und bei der elektronenmikroskopischen Untersuchung stieß man auf eine Art Virus. Der Stallknecht, ein gutmütiger Mann namens Ray Unwin, erduldete das Fieber zu Hause und überlebte. Peter Reid, der mit denselben kranken Pferden gearbeitet hatte und mit dem gleichen blutigen Schaum in Berührung gekommen war, blieb gesund. Er und Unwin erzählen mir ihre Geschichte, als ich Jahre später mehr über Hendra erfahren will und die beiden endlich aufgespürt habe.
    Ray Unwin soll jetzt bei Bob Bradshaw arbeiten. In der Einfahrt zu Bradshaws Stall treffe ich auf einen Mann, der einen Futtereimer trägt. Wie sich herausstellt, ist es Unwin, ein Mann im mittleren Alter mit rotblondem Pferdeschwanz und einer müden Traurigkeit im Blick. Er ist zurückhaltend angesichts der Aufmerksamkeit, die ihm von einem Fremden zuteil wird; davon hat er durch Ärzte, Vertreter der Gesundheitsbehörde und Lokalreporter schon genug gehabt. Als wir uns dann unterhalten, gesteht er, er sei kein »Waschlappen«, aber seit damals sei mit seiner Gesundheit irgendetwas nicht in Ordnung.
    Als die Todesfälle unter den Pferden eskalierten, hatte die Regierung von Queensland eingegriffen: Aus dem Department of Primary Industries ( DPI ), dem Ministerium, das in dem Bundesstaat für Viehzucht, wilde Tiere und Landwirtschaft zuständig ist, kamen Tierärzte und andere Fachleute; außerdem hatte man Beamte der Gesundheitsbehörde geschickt. Die Tierärzte des DPI nahmen Nekropsien vor: An Ort und Stelle, auf Vic Rails kleinem Hof, schnitten sie die Pferde auf und suchten nach Anhaltspunkten. Wenig später lagen überall abgeschnittene Gliedmaßen herum, Blut und andere Flüssigkeiten flossen durch die Abflüsse, verdächtige Organe und Gewebe wurden in Tüten verpackt. Ein anderer Nachbar von Rail, ein Pferdehalter namens Peter Hulbert, berichtet mir über das grausige Spektakel nebenan, während er mir in seiner Küche einen Pulverkaffee vorsetzt. »Pferdebeine und Pferdeköpfe, Därme und alles haben sie in spezielle Tonnen gesteckt. Es – war – entsetzlich .« Bis zum Nachmittag des gleichen Tages, so fügt er hinzu, hatte sich die Nachricht herumgesprochen, und die Fernsehsender standen mit ihren Nachrichtenteams vor der Tür. Dann kam auch die Polizei und sperrte Rails Anwesen ab, als wäre es ein Tatort. Steckte womöglich einer seiner Feinde dahinter? Wie jede Branche so hat auch die Welt der Pferderennen ihre Unterwelt, und die ist vermutlich größer als die meisten anderen. Peter Hulbert wurde sogar gezielt danach gefragt, ob Vic vielleicht seine eigenen Pferde und dann sich selbst vergiftet hatte.
    Während sich die Polizei noch Gedanken über Sabotage oder Versicherungsbetrug machte, gingen die Vertreter der Gesundheitsbehörde anderen Hypothesen nach. Eine davon betraf das Hantavirus – dabei handelt es sich eigentlich um eine Gruppe von Viren, die den Virologen nach Epidemien in Russland, Skandinavien und anderen Ländern schon länger bekannt war. Doch ein Jahr zuvor, 1993, hatte sie wieder einmal Aufmerksamkeit erregt, als ein bis dahin unbekanntes Hantavirus auf dramatische Weise aufgetaucht war und im Südwesten der Vereinigten Staaten zehn Menschen das Leben gekostet hatte. In Australien ist man zu Recht wachsam gegenüber exotischen Krankheiten, die über die Landesgrenzen kommen, und Hantaviren wären für das Land (wenn auch nicht für Pferde) noch schlimmer gewesen als die Afrikanische Pferdepest. Deshalb nahmen die Tierärzte des DPI Blut- und Gewebeproben der toten Pferde mit und schickten sie, in Eis verpackt, an das Australian Animal Health Laboratory, eine Hochsicherheitseinrichtung, die meist AAHL abgekürzt wird und sich in der Ortschaft Geelong südlich von Melbourne befindet. Dort unterzog eine Arbeitsgruppe aus Mikrobiologen und Tierärzten das Probenmaterial einer
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