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Spillover

Spillover

Titel: Spillover
Autoren: David Quammen
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Reihe von Tests, um den Mikroorganismus zu isolieren, zu kultivieren und zu identifizieren, der die Pferde erkranken ließ.
    Sie fanden ein Virus. Aber es war kein Hanta- und auch kein AHS -Virus. Vielmehr war es etwas ganz Neues, etwas, das die Wissenschaftler des AAHL noch nie gesehen hatten. In Größe und Form ähnelte es Vertretern einer anderen Gruppe von Viren, den Paramyxoviren. Von den bekannten Paramyxoviren unterschied sich der neue Erreger durch einen doppelten Stachelsaum, mit dem jedes einzelne Virusteilchen besetzt war. Andere AAHL -Wissenschaftler sequenzierten einen Abschnitt des Virusgenoms, und als sie diese Sequenz in eine große Virus-Datenbank eingaben, fanden sie eine schwache Übereinstimmung mit einer Untergruppe der Paramyxoviren. Das schien die mikroskopische Beurteilung zu bestätigen. Bei der fraglichen Untergruppe handelte es sich um Morbilliviren, zu denen auch die Erreger der Tierkrankheiten Rinderpest und Hundestaupe sowie der Masern beim Menschen gehören. Damit war der Erreger aus Hendra eingeordnet, und aufgrund der vorläufigen Identifizierung gab man ihm einen Namen: Pferde-Morbillivirus ( equine morbillivirus , EMV ) oder, vereinfacht, Pferdemasern.
    Etwa zur gleichen Zeit untersuchten die Wissenschaftler des AAHL auch eine Gewebeprobe, die man bei der Obduktion aus einer Niere von Vic Rail entnommen hatte. Auch dort fand man ein Virus. Es glich genau dem Erreger aus den Pferden und war damit die Bestätigung, dass dieses Pferde-Morbillivirus nicht nur Pferde befällt. Später, als man seine Einzigartigkeit besser einschätzen konnte, ließ man die Bezeichnung EMV fallen, und der Erreger erhielt stattdessen den Namen des Ortes, an dem er zum ersten Mal aufgetaucht war: Hendra.
    Die Identifizierung des neuen Virus war nur der erste Schritt zur Lösung des Rätsels von Hendra, von einem Verständnis für die Krankheit in ihrem größeren Zusammenhang konnte noch keine Rede sein. Der zweite Schritt würde darin bestehen, das Versteck des Virus ausfindig zu machen. Wo war es, wenn es nicht gerade Pferde und Menschen tötete? Im Schritt Nummer drei würde man dann eine ganze Reihe von Fragen beantworten müssen: Wie kam das Virus aus seinem Versteck heraus, und warum hier, und warum jetzt?
    Nach dem ersten Gespräch, das ich mit Peter Reid in Hendra geführt hatte, fuhren wir ein paar Kilometer nach Südosten. Wir überquerten den Brisbane River und kamen schließlich zu der Stelle, an der Drama Series erkrankt war. Die Region mit dem Namen Cannon Hill war früher Weideland gewesen, aber jetzt war sie von Wohngebieten umringt und eine aufstrebende Vorstadt unmittelbar südlich der Autobahn M1. Auf der früheren Pferdekoppel standen schmucke Reihenhäuser in schnurgerader Linie. Von der alten Landschaft war nicht mehr viel übrig. Am Ende der Straße jedoch befand sich ein Kreisverkehr, und in seiner Mitte ein einzelner, alter Baum. Unter dieser Großblättrigen Feige hatte schon die Stute Zuflucht vor der sengenden subtropischen Sonne Australiens gefunden.
    »Das ist er«, sagte Reid. »Das ist der verfluchte Baum.« Damit meinte er: Das ist der Baum, an dem sich die Flughunde sammeln.
    3
    Menschen, Tiere, Zoonosen
    Wir sind von Infektionskrankheiten umgeben. Sie sind eine Art natürlicher Mörtel, der in den raffinierten biophysikalischen Konstrukten, die wir »Ökosysteme« nennen, Lebewesen an Lebewesen und Spezies an Spezies bindet. Wie Beutemachen, Konkurrenz, Zersetzung und Photosynthese, so gehören auch sie zu den grundlegenden Prozessen, die von Ökologen erforscht werden. Räuber sind relativ große Organismen, die ihre Beute von außen her auffressen. Krankheitserreger, darunter die Viren, sind relativ kleine Organismen, die ihre Beute von innen heraus auffressen. Infektionskrankheiten erscheinen zwar oft als gruselig und bedrohlich, doch unter normalen Bedingungen sind sie ebenso natürlich wie Löwen, die Antilopen fressen, oder Eulen, die Mäuse jagen.
    Nur sind die Bedingungen nicht immer normal.
    Nicht nur Raubtiere haben ihre bevorzugte Beute, ihre Lieblingsopfer, sondern auch Krankheitserreger. Und genau wie ein Löwe, der hin und wieder von seinen normalen Verhaltensweisen abweicht und dann eine Kuh anstelle einer Antilope oder einen Menschen anstelle eines Zebras tötet, so können auch Krankheitserreger an neue Wirtsorganismen geraten. Zufällig. Irrtümlich. Die Umstände ändern sich, und mit ihnen ändern sich auch Notwendigkeiten und Gelegenheiten. Wenn ein
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