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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage
Autoren: Ronald Reng
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Mit der schmalen Bürste ließ sich die Lösung ideal aus dem kleinen Fläschchen holen. Nun aber gab es richtige Färbemittel aus Kamille, hatte ihm seine kleine Schwester Hilla verraten, sie hatte es von Waldtraud gehört, der Frau seines Mitspielers bei Bayer 04 Leverkusen, Werner Röhrig.
    Manchmal brachte er sich auch ein Buch ins Kaffeehaus am Dom mit. Er versuchte sich an Dostojewski, wenngleich dieser nicht sein Geschmack war, wenn er ehrlich war. Am liebsten saß er einfach da.
    Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der noch nie gearbeitet hat, sagte ihm Fredy Mutz, der alte Torwart in Leverkusens Oberligamannschaft. Aus dem spöttisch gemeinten Spruch klang volle Bewunderung. Der Heinz, leck mich am Arsch, sagten die Mitspieler, wenn er nicht in Hörweite war, den juckte gar nichts. Er war nicht nur ein Student der hohen Kunst des Nichtstuns, der einzige Hochschüler in der Mannschaft unter Buchbindern, Chemielaboranten und Lagerarbeitern, sondern auch Leverkusens unbestrittener Star, ein wirbelnder Außenstürmer, der mit seinen Pässen »Ohs!« und »Ahs!« hervorrief. Bei Fehlpässen pfiffen ihn Leverkusens Zuschauer besonders gerne aus. Sie wollten sich nicht vorstellen, dass auch einer wie er es manchmal nicht besser konnte, sondern waren sich sicher, dass er nicht wollte.
    Zu Hause schrieb er nach solch unglücklichen Spielen Briefe an sich selbst. Einmal begann er mit der Überschrift: »Ich, der Fußballspieler.« Darunter notierte er: »Manche meinen, ich sei Weltklasse. Andere sagen, ich sei lahm, feige und selbstbewusst. Die anderen sind in der Überzahl.« Den anderen werde er es zeigen, endete der Brief. Als er ihn Wochen später erneut las, erschrak er, wie kurz die Vorsätze nur gehalten hatten.
    Wie jeder anständige Junggeselle wohnte Heinz Höher noch zu Hause. Sein Bruder Manfred hatte 1959 für die ganze Familie ein Haus auf der Moltkestraße gebaut, am Stadtpark, wo Leverkusen neu und nach eigener Anschauung mondän war. Betten-Höher auf der Hauptstraße, vom Vater aufgebaut und von Manfred übernommen, war in Leverkusen ein Begriff, Polster, Gardinen, Bettwäsche. Der Vater war kurz vor der Fertigstellung des Eigenheims gestorben, die älteren Brüder waren schon fern, Johannes verheiratet, Edelbert nach Amerika ausgewandert, aber die Mutter, die Schwester und Heinz zogen bei Manfred mit ein. Zum ersten Mal im Leben hatte er ein Zimmer für sich alleine. Die Mutter ließ ihn morgens bis nach neun schlafen. Er studierte und trainierte doch so hart.
    »Was ich mir vorgenommen habe«, schrieb er in einem der Briefe an sich selbst und nannte unter Punkt 6: »Mehr Herzlichkeit gegenüber der Mutter. Denk daran, dass Mutter auch einmal ein Mädchen von 21 Jahren war.«
    Was die Mädchen von 20 betraf, so wurde in Leverkusen getratscht, Heinz Höher, der Star von Bayer 04, habe die Liebe gefunden. Manch einer wollte ihn mit einer grazilen jungen Frau aus den Farbenfabriken gesehen haben, kurze schwarze Haare und lange Beine, aber verlobt waren sie wohl noch nicht, sonst würden sie sich offensichtlicher zeigen.
    Geld war, dank des Fußballs, kein Thema. Mit Siegesprämien und Handgeld kam er bei Bayer 04 auf knapp 2000 Mark im Monat. Ein Arbeiter in den Farbenfabriken Bayer erhielt 500 Mark, ein junger Chemieingenieur 1200 Mark. Für Vertragsfußballer schrieb das Gesetz eigentlich eine Gehaltsobergrenze von 400 Mark vor, schließlich waren Sportvereine gemeinnützige Einrichtungen und keine Betriebe, die Profis beschäftigten. Die Zahlungen wurden Höher von Fußballobmann Peter Röger in kleinen Briefumschlägen zugesteckt.
    Andere hätten gesagt, so kann das Leben weitergehen. Heinz Höher dachte mit 24 wenig darüber nach, wie irgendetwas weitergehen würde, als die Gründung der Fußballbundesliga sein eingespieltes Leben durcheinanderwirbelte.
    »Wir brauchen die gesamtdeutsche Liga, um international noch mithalten zu können«, hatte Bundestrainer Sepp Herberger geschrieben. Das war 1936 gewesen, in einem Brief an den Fachamtsleiter Fußball im Deutschen Reichsbund für Leibesübungen, Felix Linnemann.
    Überall in Europa, wo Fußball leidenschaftlich und herausragend gespielt wurde, in England, Spanien, Italien, maßen sich die besten Klubs jedes Wochenende, und die Spieler wurden als Berufsspieler beschäftigt, um sich entsprechend vorzubereiten. In der Bundesrepublik trainierten die Fußballer 26 Jahre nach Herbergers Brief weiterhin dreimal die Woche nach Feierabend, und die
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