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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition)
Autoren: Karl Ove Knausgård
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hatten etwas gegen mich in der Hand und machten reichlich Gebrauch davon. Die einzige Ausnahme war Lars, er meinte nur, ich solle nichts darauf geben, und dafür war ich ihm dankbar, denn als es losging, war eine meiner ersten Befürchtungen gewesen, dass Lars sich jetzt nicht mehr mit mir würde zeigen wollen, weil er dabei auf einmal eine Menge zu verlieren hatte. Aber das tat er nicht. Auch Geir oder Dag Magne oder Dag Lothar nannten mich nicht so. Selbstverständlich auch keiner der Lehrer oder Eltern. Aber alle anderen. Der Begriff entzog allen anderen Eigenschaften, die ich sonst noch besaß, jede Grundlage, es spielte keine Rolle mehr, was ich tat oder konnte, ich war ein Femi und damit basta.
    In einer Biologiestunde, in der wir bei Frau Sørsdal Sexual kunde haben sollten, hatte sich aus der Parallelklasse Jo steinn, der Torhüter meiner Fußballmannschaft, in unser Klassenzimmer gemogelt und an ein freies Pult gesetzt. Anfangs wurde er nicht entdeckt, die Stunde begann, Frau Sørsdal sprach über Homosexualität, und Josteinn rief, da kennt sich Karl Ove doch bestens aus! Der ist doch schwul! Lassen Sie ihn doch mal erzählen! Es wurde nur vereinzelt gelacht, er war zu weit gegangen und wurde auf der Stelle hinausgeworfen, trotzdem war ein Verdacht in die Welt gesetzt worden. War ich etwa schwul? War es das, was mit mir nicht stimmte? Sogar ich selbst begann darüber nachzugrübeln. Ich war femi, vielleicht auch schwul, und damit war ich natürlich hoffnungslos verloren. Wenn das stimmte, gab es nichts mehr, wofür es sich noch zu leben lohnte. Finsternis, nichts war jemals so finster gewesen wie dies.
    Mutter sagte ich natürlich nichts davon, aber nach ein paar Wochen nahm ich all meinen Mut zusammen und erzählte es Yngve. Er war auf dem Weg zum Geschäft, als ich ihn aufhielt.
    »Hast du es eilig?«, fragte ich.
    »Ziemlich«, antwortete er. »Was’n los?«
    »Ich habe ein Problem«, sagte ich.
    »Ja?«, sagte er.
    »Die anderen haben einen Spitznamen für mich«, fuhr ich fort.
    Er sah mich kurz an, als wollte er ihn lieber nicht hören.
    »Und wie nennen sie dich?«, fragte er.
    »Na ja …«, setzte ich an. »Das ist …«
    Er blieb stehen.
    » Wie nennen sie dich? Jetzt sag schon!«
    »Also, sie nennen mich femi«, sagte ich. »Ich bin für sie der Femi.«
    Yngve lachte.
    Wie konnte er jetzt nur lachen ?
    »Das ist doch nicht weiter schlimm, Karl Ove«, sagte er.
    »Verdammter Mist«, rief ich. »Und ob das schlimm ist! Kapierst du das nicht?«
    »Denk doch mal an David Bowie«, erwiderte er. »Er ist androgyn. In der Rockszene ist das was Tolles, verstehst du? Oder an David Sylvian.«
    »Androgyn?«, sagte ich und war tief enttäuscht, er hatte wirklich gar nichts verstanden.
    »Ja, zweigeschlechtlich. Ein bisschen Frau, ein bisschen Mann.«
    Er sah mich an.
    »Das geht vorbei, Karl Ove.«
    »Den Eindruck habe ich nicht«, widersprach ich ihm, drehte mich um und ging wieder nach Hause, während Yngve weiter die Straße hinaufging.
    Ich behielt recht, es legte sich nie, aber ich gewöhnte mich in gewisser Weise daran, dann war es eben so, dann war ich eben der Femi, und obwohl mich der Gedanke daran quälte, wie ich es nie zuvor erlebt hatte, und die Schatten, die er warf, lang waren, passierten um mich herum doch genug andere Dinge, und das meiste war von einer solchen Intensität, dass damit alles andere ausgeglichen wurde.
    Wir verbrachten unsere Zeit damit, uns herumzutreiben. Im Grunde hatte ich das immer schon getan, aber während es Geir und mir in all den Jahren darum gegangen war, Plätze aufzusuchen, die geheim waren, Plätze, die uns ganz alleine gehörten, war nun das Gegenteil der Fall, zusammen mit Lars zog es mich an Orte, an denen etwas entstehen konnte. Wir trampten überallhin, nach Hove hinaus, wenn dort etwas los war, nach Skilsø oder zur Ostseite, wir hingen in der Hoffnung vor dem B-Max herum, dass dort irgendetwas geschehen würde, fuhren mit dem Fahrrad zur neuen Sporthalle, auch wenn wir gar nicht zum Training wollten, zum Gemeindezentrum, wo Ten Sing probte, denn in der Sporthalle waren Mädchen, bei Ten Sing waren Mädchen, und sie waren das Einzige, worüber wir sprachen und woran wir dachten. Mädchen, Mädchen, Mädchen. Wer große und wer kleine Brüste hatte. Wer das Potenzial hatte, eine Schönheit zu werden, wer schön war. Wer den schönsten Po hatte. Wer die schönsten Beine hatte. Wer die schönsten Augen hatte. Bei welcher wir uns vorstellen konnten, dass sie
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