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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition)
Autoren: Karl Ove Knausgård
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mit uns gehen würde. Wer für uns unerreichbar war.
    An einem dunklen Winterabend nahmen wir den Bus nach Hastensund hinaus, weil dort ein Mädchen wohnte, das bei Ten Sing mitsang, sie hatte blonde Haare, war ein wenig rundlich, aber auffallend hübsch, und hatte unser Interesse geweckt, obwohl sie ein Jahr älter war, wir klopften an ihre Haustür und saßen anschließend in ihrem Zimmer und unterhielten uns ein wenig stockend über dies und das, während in unserem Inneren die Lust brannte und wir im Bus nach Hause so voller Gefühle waren, dass wir kaum ein Wort herausbrachten.
    An einem Wochenende, an dem Mutter Vater in Kristiansand besuchte, übernachtete Lars bei mir, wir aßen Chips, tranken Cola, aßen Eis und sahen fern, es war im Frühjahr, die Nacht zum 1. Mai, im Fernsehen sollte in dieser Nacht ein Rockkonzert übertragen werden, um die Osloer Jugend, die sonst durch die Straßen zog und mit Steinen warf, im Haus zu halten. Wir hatten keine Pornohefte, denn obwohl wir alleine waren, traute ich mich nicht, welche im Haus zu haben, so dass wir uns mit Insektensommer von Knut Faldbakken begnügen mussten, mit jener Passage, die ich so oft gelesen hatte, dass das Buch von selbst an der besagten Stelle aufschlug. Schließlich waren wir uns einig, dass wir nicht alleine bleiben konnten, wir mussten ein Mädchen einladen, und Lars schlug Bente vor.
    »Bente?«, fragte ich. »Welche Bente?«
    »Na, die hier oben wohnt«, antwortete Lars. »Sie ist hübsch.«
    » Bente ?«, schrie ich fast. »Aber die ist doch jünger als wir!«
    Mein ganzes Leben hatte ich sie gesehen, sie war immer kleiner gewesen als ich, hatte für mich nie gezählt. Mittlerweile habe sie sich jedoch entwickelt, meinte Lars, er habe es selbst gesehen, sie habe Brüste und so weiter. Und sie sei hübsch! Richtig hübsch!
    Das war mir nicht aufgefallen, aber wenn er es sagte …
    In Windeseile zogen wir Jacken und Schuhe an, liefen die Straße hoch und klingelten bei ihr. Sie war überrascht, uns zu sehen, aber zu mir mitkommen, nein, das konnte sie nicht tun, nicht an diesem Abend.
    Okay, sagten wir, dann eben ein anderes Mal!
    Ja, ein anderes Mal.
    Daraufhin ging es wieder zurück, und wir setzten uns wieder vor den Fernseher, sahen eine Band nach der anderen an und unterhielten uns darüber, was wir sahen, und über alle, mit denen wir es gerne zusammen gesehen hätten. Siv aus unserer Klasse, die für mich nie gezählt hatte, war plötzlich auch interessant geworden, auch bei ihr klingelten wir. Wir hatten nicht die geringste Ahnung, was passieren würde.
    So machten wir weiter, so trieben wir uns herum, ruhelos und von einer unmöglichen Begierde erfüllt. Wir lasen Pornohefte, und es tat körperlich weh, die Bilder in ihnen zu sehen, sie waren so nah und doch so fern, so unendlich fern, was sie allerdings nicht daran hinderte, diese ungeheuer intensiven Gefühle in uns wachzurufen. Jedes Mal, wenn ich ein Mädchen sah, hatte ich große Lust, so laut zu schreien, wie ich nur konnte, sie zu Boden zu werfen und ihr die Kleider abzustreifen. Der Gedanke schnürte mir den Hals zu und ließ mein Herz pochen. Dass sie, wenn sie neben uns standen, unter ihren Kleidern tatsächlich alle nackt waren und dass sie diese Kleider, zumindest rein theoretisch, ausziehen konnten , war unglaublich. Es war ein unmöglicher Gedanke.
    Wie konnten nur alle mit diesem Wissen herumlaufen, ohne am Ende Amok zu laufen?
    Verdrängten sie es? Oder gaben sie sich nur unbeeindruckt?
    Mir wollte jedenfalls weder das eine noch das andere gelingen. Ich dachte an nichts anderes mehr, vom Aufwachen am Morgen bis zum Einschlafen am Abend hatte ich nichts anderes im Kopf.
    Oh ja, Pornohefte lasen wir. Darüber hinaus spielten wir Karten, überall und in allen Lebenslagen kamen die Spielkarten auf den Tisch und wurden ausgespielt, wir besuchten andere, gingen in den Jugendclub, hörten Musik, spielten Fußball, gingen schwimmen, solange es ging, klauten Äpfel, trieben uns herum und hingen mal hier, mal dort herum und redeten und redeten.
    Kjersti?
    Marianne?
    Tove?
    Bente-Lill?
    Kristin?
    Lise?
    Anne Lisbet?
    Kajsa? Marian?
    Lene?
    Lenes Schwestern?
    Lenes Mutter ?
    Nie wieder in meinem Leben hatte ich einen so guten Überblick über etwas wie damals über die Mädchen in unserer Umgebung. Später war ich mir nicht sicher, ob Svein Jarvolls Buch Eine Australienreise nun ein guter oder schlechter Roman war oder ob Hermann Broch ein besserer Autor war als Robert Musil, aber
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