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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition)
Autoren: Monika Feth
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mochte. Sämtliche Fenster waren doch geschlossen.
    Kopfschüttelnd tastete er sich zum Schreibtisch vor. Ein einziger achtlos abgestellter Gegenstand konnte ihn straucheln lassen. Aus diesem Grund war ihm immer sehr bewusst, wo die Möbel standen und wo er seine Brille abgelegt hatte, wenn er sie überhaupt abnahm.
    Etwa vor dem Duschen, wie heute Morgen.
    » Denk nach«, sagte er zu sich selbst. » Wo hast du die Brille zuletzt gesehen?«
    Er war später aufgestanden als sonst, weil er die halbe Nacht lang gearbeitet hatte. Kurz nach zehn war er vom Wecker aus dem tiefsten Schlaf gerissen worden. Er hatte die Brille vom Nachttisch genommen, sie aufgesetzt und war in die Küche gegangen, um die Kaffeemaschine in Gang zu bringen. Das hatte sich bei ihm so eingespielt: Während der Kaffee durchlief und die Küche mit seinem würzigen Duft erfüllte, duschte er. Dann schlüpfte er in den Bademantel und frühstückte. Erst danach zog er sich an.
    Das machte er so, seit er nicht mehr in seiner leicht chaotischen alten Wohngemeinschaft lebte.
    Auch heute Morgen war er von diesen Gewohnheiten nicht abgewichen. Er hatte die Kaffeemaschine mit Wasser gefüllt, eine Filtertüte eingelegt und Kaffeemehl hineingegeben. Zwei Messlöffel voll, wie jeden Morgen. Dann hatte er geduscht, sich abgetrocknet, den Bademantel übergeworfen…
    Und seine Brille nicht gefunden.
    So sehr er auch die einzelnen Schritte durchspielte, er erinnerte sich nicht daran, wann genau er die Brille abgenommen hatte. Vermutlich doch kurz bevor er in die Duschkabine gestiegen war. Alles andere ergab keinen Sinn.
    Wieso lag das verdammte Ding dann nicht auf dem Regal im Badezimmer, wo sie sich sonst auch immer befand?
    In einer der beiden Schreibtischschubladen bewahrte er seine Ersatzbrille auf und zusätzlich zwei alte, ausrangierte Exemplare. Ihre Glasstärke war zwar nicht mehr ausreichend, sie konnten zur Not jedoch noch benutzt werden. Seine Hand fuhr in die Schublade. Leer zog er sie wieder hervor.
    Wie war das möglich?
    Ratlos richtete er sich auf. Er war sich absolut sicher, dass er die Brillen nicht von dort entfernt hatte. Himmel, er war noch keine dreißig, er würde sich doch daran erinnern!
    Noch während er das dachte, spürte er, wie eine leise Angst in ihm hochstieg. War jemand in der Wohnung gewesen?
    Es war schrecklich, sich so hilflos zu fühlen. Nicht durch die Räume gehen zu können, ohne bei jedem Schritt zu befürchten, gegen die Möbel zu stoßen oder über irgendwas zu stolpern und zu stürzen.
    Ruhig, sagte er sich. Hektik bringt jetzt gar nichts.
    Doch er war in Eile. Das Seminar über die deutsche Nachkriegsliteratur, das er in diesem Sommersemester halten würde, sein zweites, fing im April an, und er war mit seinen Vorarbeiten im Rückstand. Für heute hatte er einen Tag in der Bibliothek eingeplant, doch ohne Brille würde er nicht einmal bis zur nächsten Straßenecke gelangen, wo er seinen Wagen geparkt hatte.
    Selbst jemanden zu bitten, ihn zur Uni zu fahren, hatte keinen Sinn. Er sah ja die Hand vor Augen nicht. Wie sollte er da den Tag überstehen? Bücher finden? Notizen machen? Mit Menschen sprechen, deren Gesichter er lediglich als helle Kreise ausmachen konnte?
    Ohne Brille war er nicht einmal in der Lage zu lesen.
    Er nahm sich voran, die ganze Wohnung noch einmal gründlich abzusuchen.
    Am besten, er begann gleich mit dem Schreibtisch und arbeitete sich von da aus voran. Eine Stunde gab er sich noch. Hatte er bis dahin keine der Brillen gefunden, würde er doch einen seiner Freunde anrufen müssen, der ihn zum Optiker brachte. Er benötigte rasch einen Ersatz. Unbedingt.
    Er betastete Bücherstapel und Papierberge, seine Hände glitten über die leichte Tastatur des Laptops und den kühlen Chromfuß der Schreibtischlampe. Seine Finger befühlten Kalender, Kugelschreiber und Kaffeebecher. Vor Anspannung brach ihm der Schweiß aus.
    Verdammt!
    Er beugte sich gerade über das Sofa, das er meistens als Ablagefläche für allen möglichen Kram nutzte, als er ein Geräusch hörte. Es war nicht laut. Aber es war unerwartet.
    Und es war fremd.
    Es hatte keinen Platz in dieser Wohnung. Es gehörte nicht hierher, denn er war allein, und eigentlich sollte es außer ihm in diesen Zimmern nichts geben, das ein Geräusch verursachte.
    Lauschend neigte er den Kopf.
    Als sich das Geräusch nicht wiederholte, fuhr er zögernd mit der Suche fort. Er verfluchte seine Hilflosigkeit, hasste es, sogar einem Geräusch so ausgeliefert
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