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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition)
Autoren: Monika Feth
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schon nach dem Messer griff, um das Kunstwerk, das auf seinem Teller aufgeschichtet war, zu zerstören.
    Dann aßen sie in trauter Eintracht und Romy konnte ihre Fragen stellen. Das Diktiergerät stand zwischen ihnen auf dem Tisch. Die Aufnahmen, die es machte, besaßen eine so hohe Tonqualität, dass die Hintergrundgeräusche praktisch keine Rolle spielten.
    Norman Forsyte stammte ursprünglich aus Ipswich, lebte jedoch seit seinem Studium in Deutschland und besaß auch einen deutschen Pass. Er war Inhaber des Lehrstuhls für Differentielle Psychologie und psychologische Diagnostik an der Universität des Saarlands und hatte für seine Erkenntnisse in der Zwillingsforschung bereits mehrere wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten.
    Romy brauchte nicht viel zu tun, um ihn zum Reden zu bringen. Er machte es ihr leicht und sie war ihm dankbar dafür.
    » Für die Psychologie geht es in der Zwillingsforschung hauptsächlich um die Frage, wie hoch der Anteil der Gene an den Eigenschaften und Fähigkeiten des Menschen ist und wie hoch der von Umwelt und Erziehung.«
    » Ob Eigenschaften und Fähigkeiten vererbt oder erworben werden?«
    » Exakt.«
    » Aber es gibt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, noch keine eindeutige Antwort auf diese Fragen.«
    » Bedauerlicherweise. Wir gewinnen unsere Erkenntnisse dadurch, dass wir beispielsweise zweieiige und eineiige Zwillingspaare miteinander vergleichen.«
    » Oder eineiige Zwillinge, die getrennt voneinander aufgewachsen sind.«
    » Auch. Und die Erkenntnisse und ihre Interpretation sind sehr unterschiedlich. Da haben wir noch einen langen Weg vor uns.«
    In seinem Vortrag hatte er faszinierende Beispiele erwähnt. Zwillingsschwestern, die in verschiedenen sozialen Milieus aufgewachsen waren, hatten denselben Beruf ergriffen, waren zur selben Zeit schwanger geworden und hatten ihren Kindern dieselben Namen gegeben. Sie hatten dieselben Krankheiten bekommen, sich für die gleichen Haustiere entschieden, bevorzugten dieselbe Musikrichtung und besaßen in Modefragen denselben Geschmack.
    Norman Forsyte wischte sich den Mund mit seiner Serviette und nahm einen Schluck Wein. Über den Rand des Glases hinweg schaute er Romy an. Ein Lächeln hatte sich in seine Augen geschlichen.
    » Das Thema interessiert Sie privat«, stellte er fest, setzte das Glas ab und widmete sich wieder seinem Essen.
    » Man sagt immer, zweieiige Zwillinge seien mit normalen Geschwistern vergleichbar«, sagte Romy.
    » Von den Genen her, nicht von ihrem Verhalten.«
    » Zwischen meinem Bruder und mir besteht eine… Verbundenheit, die keine Worte braucht. Meistens spüre ich, wenn es Björn nicht gut geht, egal, wo er sich gerade aufhält.«
    » Leben Sie beide hier in Köln?«
    » Nein. Björn studiert in Bonn.«
    » Sie wollten Abstand«, vermutete der Professor.
    » Ja. Das war für uns beide ganz wichtig.« Romy grinste. » Nun sind dreißig Kilometer ja keine Entfernung, aber es reicht jedem von uns, um sich ein eigenes Leben aufzubauen.«
    » In dem der andere willkommen ist…«
    » …aber als Gast, nicht als Dreh- und Angelpunkt.«
    Der Professor nickte. Sie wunderte sich darüber, dass sie plötzlich über die ganz privaten Dinge sprachen, und sie fing an, diesen Mann zu mögen.
    So hatte sie sich immer ihren Vater gewünscht, zugewandt, offen und klug. Stattdessen war sie mit einem Vater gestraft, der tausend Dinge anpackte und keines davon je zu Ende brachte. Einem Weltenbummler, der nie für lange irgendwo zu Hause war, der ständig die Koffer packte.
    » Unsere Eltern leben auf Mallorca«, erzählte sie unvermittelt. » Zurzeit«, setzte sie hinzu. » Kann sein, dass sie morgen schon wieder ihre Zelte abbrechen und sich woanders niederlassen.«
    Der Professor hörte schweigend zu. Sein Teller war schon fast leer, während Romy ihren Salat noch nicht einmal zur Hälfte geschafft hatte.
    » Sie besitzen eine Kunstgalerie und verkaufen Bilder und Skulpturen. Vielleicht kommen sie demnächst aber auch auf die Idee, sich eine Imbissbude an der Nordsee anzuschaffen oder in einem tibetischen Kloster nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Bei meinen Eltern weiß man nie. Ihr Leben ist ein einziges… Gesamtkunstwerk.«
    Sie sah den Professor schmunzeln und ärgerte sich über sich selbst. Plapperte munter drauflos, statt ihr Interview im Auge zu behalten und Norman Forsyte Informationen aus der Nase zu ziehen.
    » Und Sie haben beschlossen, lieber eine Ausbildung zur Journalistin zu machen, als ihren
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