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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition)
Autoren: Monika Feth
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zu sein.
    Er hatte die Hälfte des Arbeitszimmers geschafft, als er die Anwesenheit eines anderen Menschen spürte.
    Wieder verharrte er, wie ertappt.
    Er kniff die Augen zusammen in dem vergeblichen Versuch, das undeutliche Bild vor seinen Augen ein wenig schärfer einzustellen. Es nützte nicht viel. Alles verschwamm ineinander, die Farben, die Konturen. So musste die Welt für einen aussehen, der sich unter Wasser befand.
    » Hallo?«, sagte er. » Ist da jemand?«
    Er kannte diesen Satz aus Filmen und hatte ihn da immer selten dämlich gefunden. Als ob ein Eindringling auf eine solche Frage antworten würde.
    Ja, ich bin’s, Ihr Einbrecher. Ich will nicht lange stören, schnappe mir bloß das Tafelsilber, die Kamera, den Laptop und was sonst noch so rumliegt und bin schon wieder weg.
    Und doch hatte er fragen müssen. Der Klang seiner Stimme gab ihm das Gefühl, nicht völlig in der Luft zu schweben. Sie verlieh ihm Halt, auch wenn sie seine Angst nicht verbergen konnte.
    Die Antwort war eine noch dichtere Stille als zuvor.
    Er schluckte. Schmerzhaft trocken und furchtbar laut. Seine Kehle war wie ausgedörrt. Die Zunge lag wie ein Fremdkörper in seinem Mund. Seine Augen waren jetzt schon müde von der ungewohnten Anstrengung, ihre Aufgabe ohne Brille zu bewältigen.
    Schritte.
    Langsam.
    Fast lautlos.
    Und ganz nah.
    Sie ließen seine sämtlichen Körperfunktionen erstarren. Sein Herz schien nicht mehr zu schlagen, das Blut nicht länger durch seine Adern zu fließen. Alles in ihm hielt still, und für einen Moment schloss er die Augen, als könnte er auf diese Weise die Gefahr ausschließen.
    Ene mene meck und du bist weg.
    Doch das hatte schon früher nicht funktioniert.
    Weg bist du noch lange nicht, sag mir erst, wie alt du bist. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben …
    Er drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand, die den beiden Fenstern gegenüberlag, und blinzelte verzweifelt. Zog den Bademantel enger um den Körper und verknotete den Gürtel fester. Als könnte er sich so schützen.
    Schützen?
    Vor was?
    Vor wem?
    » So sagen Sie doch was.«
    Er war nie der Typ gewesen, der Konflikte auf aggressive, handgreifliche Art gelöst hatte. Er war jedes Problem verbal angegangen und meistens hatte es funktioniert. Doch beide Möglichkeiten versagten, wenn das Gegenüber unsichtbar blieb.
    Und keinen Laut von sich gab.
    Erst in diesem Augenblick, wehrlos an die Wand gedrängt, ergab er sich dem Gedanken, dass er seine Brille gar nicht verlegt und die Ersatzbrillen nicht woanders untergebracht hatte. Dass jemand …
    Entsetzt hielt er den Atem an.
    Lauschte.
    Er nahm jetzt den Duft eines Rasierwassers wahr, sehr schwach, kaum mehr als die Erinnerung an einen Duft. Als wäre es am Vortag aufgetragen und seitdem nicht erneuert worden.
    Ein Mann also.
    Jedoch hatte er auch keine Sekunde lang angenommen, der Eindringling könnte eine Frau sein. Ihm fiel auf, dass es keine weibliche Entsprechung für den Begriff Eindringling gab.
    Er fand es absurd, dass er den Literaturwissenschaftler in sich nicht einmal in einer derart bedrohlichen Situation verleugnen konnte.
    Der Mann kam näher. Sein Körper schob sich vor das Licht, das durch die Fenster fiel.
    » Bitte. Was wollen Sie von mir?«
    Der Umriss der dunklen Gestalt verriet ihm, dass der Eindringling groß sein musste. Größer als er selbst.
    Was konnte er tun?
    Sich auf ihn stürzen. Überraschend losrennen, um an ihm vorbei zur Tür zu gelangen, und dann die Treppe hinunter und auf die Straße hinaus.
    Keines von beidem war eine wirkliche Option, denn beides war ohne Brille illusorisch.
    Er sehnte sich danach, dem Mann in die Augen sehen zu können. Ein einziger Blick, und er hätte gewusst, wie er reagieren sollte. Ein einziger Blick hätte ihm gezeigt, ob er den Hauch einer Chance hatte. Denn dass es um Leben und Tod ging, war ihm so klar, als hätte der Fremde es ausgesprochen.
    Ganz selbstverständlich ging er davon aus, dass es sich bei dem Eindringling um einen Fremden handelte. Dabei konnte er nicht einmal das mit Sicherheit wissen.
    Es gab keine Möglichkeit, aus dieser schrecklichen Situation herauszukommen.
    Außer einer vielleicht.
    Er besaß eine einzige Stärke, und das war seine Redegewandtheit. Er musste versuchen, sich mit Worten einen Ausweg zu schaffen.
    » Hören Sie«, sagte er und stieß sich in dem Versuch, eine Entschlossenheit vorzutäuschen, die er nicht besaß, halbherzig von der Wand ab. » Ich weiß nicht, wer Sie sind
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