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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition)
Autoren: Monika Feth
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und warum Sie hier eingedrungen sind…«
    Er vollführte eine kleine, nutzlose Geste, die an der stummen, reglosen Gestalt ebenso abprallte wie seine Worte.
    » …aber vielleicht können wir darüber reden. Ich…«
    » Schweig!«
    Während Leonard Blum fiel, fragte er sich, wie viele Menschen es heutzutage wohl noch geben mochte, die den Begriff schweigen im Imperativ benutzten. Wenige, dachte er. Sehr, sehr wenige. Aus dem Wortschatz der Studenten jedenfalls war er längst verschwunden.
    Es war nicht so, wie man immer las. Sein Leben spulte sich nicht im Zeitraffer vor ihm ab. Sein letzter Gedanke galt dem Bedauern, dass er sterben würde, ohne das Gesicht seines Mörders gesehen zu haben.

2
    Schmuddelbuch, Dienstag, 1. März, zwölf Uhr dreißig, Diktafon
    » Gibt es tatsächlich Kannibalismus unter Zwillingen im Mutterleib?«
    » Kannibalismus ist das falsche Wort. Es kann passieren, dass bei einer Zwillingsschwangerschaft einer der beiden Föten in den ersten Wochen stirbt und dann von der Plazenta oder seinem Geschwisterfötus absorbiert wird.«
    » Wie oft kommt das vor?«
    » Etwa in jeder zehnten Schwangerschaft.«
    » Das ist ziemlich häufig.«
    » Ja.«
    » Und der überlebende Zwilling? Nimmt er den Tod des andern wahr?«
    » Manche Psychologen gehen davon aus, dass einige Traumata und Persönlichkeitsstörungen ihren Ursprung in einem solchen vorgeburtlichen Erlebnis haben.«
    » Verlustängste zum Beispiel?«
    » Richtig.Auch extreme Eifersucht, unerklärliche Zustände von Traurigkeit, das Gefühl, dass einem etwas ganz Wesentliches fehlt, die Angst zu versagen…«
    » Es müssen aber nicht zwangsläufig Störungen entstehen.«
    » Nein.«
    » Faszinierend… Ich könnte also auch ein Drilling gewesen sein?«
    » Heißt das, Sie sind ein Zwilling?«
    » Zweieiig. Ich habe einen Bruder. Und Sie?«
    » Einzelkind, leider. Ich habe mir immer sehnlichst einen Zwillingsbruder gewünscht.«
    » Kann man daraus schließen…«
    » Dass ich ursprünglich als Zwilling konzipiert war? Tja, darüber weiß ich leider nichts. Früher hat man die Mütter in solchen Fällen nicht darüber aufgeklärt.«
    » Und heute?«
    » Halten sich die meisten Ärzte bedauerlicherweise weiterhin zurück.«
    Norman Forsyte war Ende vierzig. Er war ein paar Kilo zu schwer, was man sich leicht erklären konnte, wenn man ihm beim Essen zusah. Er nahm nicht einfach Nahrung zu sich – er zelebrierte den Vorgang.
    Um das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden, hatte er Romy zum Essen eingeladen, und weil er dabei ungestört bleiben und nicht erkannt werden wollte, hatte er vorgeschlagen, das Museum Ludwig zu verlassen. Zielsicher hatte er Romy in ein Restaurant geführt, das sie ohne ihn niemals betreten hätte.
    Gestärkte weiße Stoffservietten standen spitz gefaltet auf den Tischen, die elegant eingedeckt waren mit drei Gläsern pro Gedeck, zwei Gabeln und zwei Messern. Die blitzweißen Tischdecken waren ebenfalls gestärkt und mit einem frühlingshaften Gesteck aus Narzissen, Tulpen und Vergissmeinnicht geschmückt.
    Aus der Tiefe des Raums kam ein Kellner geschritten, der sie mit einer leichten Verbeugung und einem routinierten Lächeln begrüßte, ihnen mit geübtem Schwung Mantel und Jacke abnahm und sie dann zu einem der Tische führte. Er rückte Romy den Stuhl zurecht und reichte ihnen die Speisekarte.
    Der Professor hatte sich schnell entschieden. Ein Bärlauchcremesüppchen vorweg. Zum Hauptgang eine Variation von dreierlei Edelfischen auf mediterranem Gemüse an getrüffeltem Kartoffelschaum. Zum Dessert marzipangefüllte Rotweinpflaumen an einem Zimtparfait.
    Romy fand die abgehobenen Formulierungen auf der Speisekarte lächerlich. Sie fragte sich, welche Menschen dem Essen einen so großen Raum in ihrem Leben einräumen mochten, dass sie dafür sogar sprachlich in die Knie gingen. Das Wort Süppchen hatte sie selbst zuletzt mit drei oder vier Jahren verwendet, wenn überhaupt. Allein bei der Vorstellung, es auszusprechen, kräuselte sich ihr die Zungenspitze.
    Sie entschied sich für einen Salat mit Früchten und Nüssen und wählte zum Nachtisch rote Grütze mit Eis.
    Nach dem Gruß aus der Küche, einem Klecks Matjestatar auf einem runden, angetoasteten Stück Brot, und dem Bärlauchcremesüppchen des Professors waren sie nun beim Hauptgang angelangt.
    Norman Forsyte wedelte sich den Duft, der von seinem Teller aufstieg, mit der linken Hand in die Nase und schloss vor Wonne die Augen, während die rechte Hand
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