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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition)
Autoren: Alina Bronsky
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ihr … zu zweit?«, frage ich.
    Ksü schaut mit trockenen Augen in mein Gesicht. »Wir leben gut«, sagt sie. »Es war ein Glück, dass Ivan gerade achtzehn geworden war. Er wurde mein Vormund, man gab ihm ein Stipendium für die Uni, ließ ihn alles machen, was er wollte.«
    »Hauptsache, er nahm Abstand davon, die Gründe für die Explosion zu untersuchen«, sagt meine Mutter. »Die offizielle Version lautet, dass das Unglück durch die gefährlichen Güter, die im Haus gelagert wurden, selbst verursacht wurde.«
    »Meinen sie etwa deine Quadren?«
    »Was sonst?«
    »Aber Quadren können nicht explodieren.«
    »Quadren können alles«, sagt Ksü.
    »Meine Quadren explodieren nicht im Haus meiner Freunde«, sagt meine Mutter. »Die offizielle Version ist Verleumdung.«
    »Das weiß ich doch, Laura«, sagte Ksü.
    »Und wie geht Ivan damit um?«, frage ich.
    »Was soll er denn tun? Er will anders leben. Er will für eine Welt kämpfen, in der es weder Freaks noch Normale gibt und in der Pheen nicht diskriminiert werden.«
    »Wie – weder Freaks noch Normale? Sondern?«
    »Menschen«, sagt Ksü. »Einfach Menschen, so wie wir auch. Das haben unsere Eltern so beschlossen. Wir mussten keine Freaks sein, wenn wir nicht wollten. Ivan hat sich sofort entschieden, mir war es lange Zeit egal.«
    »Aber das ist doch eine Märchenwelt, von der Ivan da träumt«, sage ich.
    »Ich weiß. Aber er glaubt daran. Er will einen anderen Weg bestreiten. Fertig studieren und dann offen nach Recht und Gesetz verfahren. Er glaubt an so was.«
    »Er glaubt an so was, obwohl ihr in die Luft gesprengt wurdet?«
    »Ja«, sagte Ksü. »Man ist ihm danach in jeder Hinsicht sehr entgegengekommen, unter der Voraussetzung, dass er kein Aufhebens um diesen … Unfall macht. Ich durfte zum Beispiel, sobald ich wieder ganz gesund war, auf das Lyzeum gehen, und zwar ohne einen Cent zu zahlen. Ein Brandopfer-Fonds hat mir ein Stipendium bewilligt. Ivan für sein Studium auch.«
    Ich versuche zu begreifen. »Ivan kooperiert mit der Normalität, die seine Familie zerstört hat?«
    Meine Mutter schüttelt den Kopf. Was ich da gerade sage, gefällt ihr nicht. Wer bin ich, um Ivan zu kritisieren?
    »Genau das tut er«, sagt Ksü.

Die Rettung
    Den Wald kann man durch die Quadren betreten. Ihn wieder zu verlassen, geht noch einfacher.
    Meine Mutter zeigt auf zwei der vier Fenster des Hauses, auf mehrere Pfade, die vom Haus wegführen.
    »Je nachdem, wo ihr hinwollt«, sagt sie.
    »Ich will nach Hause«, sagt Ksü, ihre Unterlippe zittert, sie sieht aus wie ein kleines Mädchen. Ich muss sie trotzdem bewundern, dass sie nicht mehr weint, nicht mehr mit dem Gesicht zur Wand auf der Bank liegt, sondern sich zusammengerissen hat und loswill.
    Ich habe nur eine kleine Ahnung davon, was in ihr vorgegangen sein muss. Wenn aus dem abstrakten Wort »Explosion« plötzlich Feuer wird, das die eigene Haut verbrannt hat. Wenn aus dem abstrakten Wort »Eltern« Menschen werden, auf deren Schoß man gesessen, in deren Augen man geschaut hat. Ich weiß nicht, ob ich so etwas hätte aushalten können.
    Zum ersten Mal denke ich, dass ich meine Mutter verstehen kann, die ihren Kindern einfach nur Augen und Ohren zuhalten wollte.
    »Dann gehen wir erst zu Ksü«, sage ich, schaue Laura fragend an. Sie nickt.
    Die Fensterbank ist rau und von der Sonne angewärmt. Ich berühre sie mit der Hand. Es will nicht in meinen Kopf, dass meine Schwester Kassie immer auf dieser Bank kniet, wenn man es von außen betrachtet, von der anderen Seite. Wir haben Kassie hier drin nicht gesehen. Es muss an der verzerrten Zeit liegen.
    »Zurück in deine Küche?«, frage ich Ksü.
    »Willst du wirklich mit?«
    Ich sehe sie an. Ich habe mich nie als besonders gutherzig empfunden. Ich bin eine Normale, Hilfsbereitschaft ist unter uns nicht üblich, jeder ist für sein eigenes Vorwärtskommen selbst verantwortlich. Aber seit ich all diese Dinge über Ksü weiß, kann ich einfach nicht anders. Auch wenn ich, zugegeben, viel lieber den Pfad zu Jaro und Kassie genommen hätte, in mein Elternhaus. Denn auch meine kleinen Geschwister habe ich im Stich gelassen, während ich nur mich und mein eigenes Unglück zelebriert habe.
    »Red keinen Quatsch«, sage ich. »Ich gehe voran, ja?«
    Ksü schaut mich so glücklich an, dass ich mich in Grund und Boden schäme.
    Ich springe zuerst, der Kuss meiner Mutter brennt noch auf meiner Stirn und ich bin stolz, dass sie mich gehen lässt.
    Ich halte die Augen
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