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Sperrzone Fukushima

Sperrzone Fukushima

Titel: Sperrzone Fukushima
Autoren: William T. Vollmann
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nichts daran ändern, dass er passiert ist«, sagte die Mutter. »Tepco soll hart arbeiten, und das Gemüse soll wieder wachsen. Ich würde das Gemüse aus Fukushima ja gerne kaufen, aber …«
    »Glauben Sie, dass hier Kontaminierung droht?«
    »Ja«, sagte sie.
    »Was werden Sie tun?«
    »Wir können nirgendwo hin.«
    »Haben Sie Alpträume gehabt?«, fragte ich sie.
    »Was mich angeht, ich habe den Tsunami nicht mit eigenen Augen gesehen. Ich konnte zwei Tage lang nicht nach Hause, diese Erfahrung habe ich also nicht gemacht, aber das Feuer, nun, das konnten wir von unserem Hügel aus so deutlich sehen, 24 dass ich beinahe Angst hatte, es könnte bis zu uns vordringen; um drei Uhr morgens gab es eine Durchsage, es könnte bis zu uns vordringen, also flohen wir.«
    »Aber keine Alpträume?«
    »Nein. Das Feuer brannte zwei Tage lang …«
    »Ich kann in unserem Haus nicht wohnen«, sagte Frau Utsumi später. »Es ist zu unheimlich. Ich kann dort nicht wieder wohnen, selbst wenn das bedeutet, dass wir ein neues Haus …«
    Weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte, wiederholte ich, dass ich sie tapfer finde, und sie sagte: »Ich glaube, wenn wir anständig leben, kann meine Schwiegermutter in Frieden ruhen. Sie hätte für ihre provisorische Beerdigung keinen teuren Sarg gewollt; sie hätte gewollt, dass ihre Enkelkinder das Geld bekommen.«
    Ich nickte. Der Staub tat mir in der Brust weh.
    »Ich möchte, dass meine beiden Söhne hart daran arbeiten, diese Stadt wiederaufzubauen, damit meine Schwiegermutter Frieden findet.«
    Diesen stoischen und manchmal donquichotesk auftrumpfenden Impuls sah man in Ishinomaki hier und da aufkeimen; ich erinnere mich an einen Trupp Arbeiter mit Stirnbändern aus weißen Lumpen, die durchnässte Tatamimatten aus einem Lagerhaus zogen, wozu sie einen Karren mit einem Mann vorn und einem hinten einsetzen mussten, so schwer wog das Wasser; und dann rollte der Wagen abwärts an einem riesigen Müllhaufen vorbei, in einem Hof voller Pfützen standen Männer in Gummistiefeln und warteten, ich weiß nicht worauf; aber seit der Flutwelle war weniger als ein Monat vergangen, und so waren die Überreste aus vorsintflutlicher Zeit noch verwunderlicher: das von der Zeit oder Dieselruß geschwärzte Torii eines kleinen Schreins zum Beispiel, das aus der Form geraten und allein auf dem sandigen Schlamm stand, verschaffte mir ein Déjà-vu, und später erinnerte ich michan ein Bild des großen Fotografen Yamahata Yosuke aus Nagasaki, 1945: Ishinomaki 2011 nicht unähnlich, nur dass die Trümmer um das Torii in Nagasaki beinahe ausschließlich aus Holz zu sein schienen. Außerdem gab es ein gewisses radartiges Bruchstück, offenbar Teil eines Karrens, feingliedriger als all seine heutigen Gegenstücke, und der Hintergrund bestand ganz aus weiß geädertem grauem Rauch. 25
    Bevor wir zum stehengebliebenen Riesenrad von Sendai und den Feldern voll hellem Müll zurückkehrten, sagte mir der ältere der beiden Jungen, der Yuya hieß: »Ich möchte Lebensmittel aus dieser Gegend essen, um den Bauern zu helfen.«
    »Also in der Umgebung des Atomkraftwerks angebautes Gemüse?«
    Er nickte mit einem ruhigen Lächeln.
    Da Frau Professor Morimoto schon nach Hause gegangen war, fuhren sie uns zum Busbahnhof. Ich sagte ihnen, es gebe keinen Grund, zu warten, bis wir in unseren Bus eingestiegen wären, aber Frau Utsumi versicherte mir, sie hätten nichts Besseres zu tun.
     
WENN DER WIND VON SÜDEN WEHT
     
    In der Nacht gab es an der heißen Quelle eine Erschütterung, die sich zu einem mittleren Erdbeben auswuchs; während ich auf meiner Tatamimatte lag, gab es ein Schwanken und Wackeln. Ich wusste, dass ich nichts anderes tun konnte, als ruhig zu bleiben, da ich mich im fünften Stock befand. Zum Glück waren kaum Möbel im Zimmer (manchmal wurde mir beschrieben, wie Bücher und Fernseher buchstäblich von den Wänden flogen).
    Als die graublaue Dämmerung durch die Rollos lugte, stand das Dosimeter noch immer ganz ruhig auf 2,0; der neue Taxifahrer meldete sich zum Dienst und berichtete, die Straße sei »kaputt«, es sei also am besten, früh loszufahren. Sendai war offenbar wieder ohne Strom, und als wir Halt machten, um Frau Professor Morimoto abzuholen, die diesmal einem ihrer Studenten auf derInsel Oshima helfen wollte, fanden wir sie erschüttert und entmutigt vor. Der Fahrstuhl war natürlich außer Betrieb, also schleppten der Fahrer und ich ihre Koffer voller Batterien und
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