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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum
Autoren: Sergej Lukianenko
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gleichmäßig geometrische Form, einen Halbkreis, wie man ihn aus den Zeichnungen kleiner Kinder kennt. Die Haut war grau, weshalb die mehr oder weniger gewöhnlichen, nämlich roten Lippen sich wie ein grausamer blutiger Strich abhoben. Der Geddar trug prunkvolle Kleidung von karminroter und azurblauer Farbe, über seiner Schulter ragte der Griff eines Ritualschwerts auf, ein geriffeltes und fein gearbeitetes Stück, das nicht aus Metall, sondern aus bunten, zusammengeschmolzenen Steinfäden angefertigt war.
    Kurz neigte der Geddar den Kopf.
    Höflich erwiderte Martin den Gruß.
    Dann gingen sie aneinander vorbei. Der Geddar steuerte das Große Tor an, seine Hebel und Wählscheiben. Martin schlenderte den breiten Gang hinunter und verließ die Station in der Gagarin-Gasse.
    Einst war dies einer der angenehmsten und ruhigsten Orte in Moskau gewesen. Zu Zeiten des Sowjetimperiums drehte man hier Filme, die die Schönheit der Hauptstadt zeigen sollten. Die Oberschicht hatte sich hier ebenfalls gern niedergelassen. Möglicherweise gefiel auch den Schließern dieser Ort. Doch wer vermag schon etwas über die Motive von Schließern zu sagen? Wie dem auch sei, vor zehn Jahren war der Keim eines Großen Tors genau an diese Stelle heruntergekommen, um binnen drei Tagen die anheimelnden Häuser ohne viel Federlesens beiseite zu schieben und sich zu einer Station auszuwachsen.
    Seither wäre es niemandem mehr in den Sinn gekommen, diesen Ort ruhig zu nennen.
    Die Moskauer Station war eine der größten auf der Erde. Zudem durfte sie, da die Schließer sich entweder nicht um architektonische Ansprüche geschert hatten oder auf diese Weise ihr Urteil zur hauptstädtischen Baumeisterschaft abgeben wollten, auch als die scheußlichste bezeichnet werden. Riesige Betonkuppeln erhoben sich da, Würfel türmten sich ohne erkennbares Prinzip auf, willkürlich angeordnete Fenster funkelten mit dunklem Spiegelglas, ein Turm schoss fast hundert Meter in die Höhe, bestand dabei jedoch nur aus grobem, unverputztem Beton, wobei die Spitze eine unsägliche Laube zierte, aus welcher das Leuchtfeuer herausblitzte. Auf dem Dach eines der Würfel erstreckte sich eine Landefläche für fliegende Untertassen, von denen, selbst wenn die Schließer sie nur selten benutzten, stets ein oder zwei Maschinen startklar waren. Um die Station herum schlängelte sich über den geborstenen Asphalt ein aus Tonplatten gelegter weißer Streifen, der die Grenze markierte. Dahinter erhoben sich ein niedriger Gitterzaun und die Häuschen der Miliz. Nur am Eingang fehlte dieser Zaun, und die Ordnungshüter, der Form halber postiert, verwehrten niemandem den Zugang zur Station.
    Martin blieb stehen, um sich umzusehen. Ein feiner kalter Regen ging nieder, obwohl dem Kalender nach der Sommer seit einem Monat Einzug gehalten hatte. Um die Station lungerten Gaffer, Kinder und die stadtbekannten Verrückten. Dafür trieben sich infolge des schlechten Wetters kaum Journalisten herum. Regennasse Demonstranten verlangten »Schließer, zieht ab!«, ein Mann von solider Erscheinung hielt ein Plakat in den Händen, auf dem geschrieben stand: »Galotschka, komm zurück!« An den Mann erinnerte sich Martin noch gut, er marschierte jetzt schon den dritten Monat vor der Station auf und ab. Stets fand er sich kurz nach fünf Uhr ein, stellte sein Plakat auf, dass die gleichgültigen Wände es betrachten mochten, packte es mit penibler Genauigkeit um neun wieder ein und ging fort. Offensichtlich erkannte der Mann Martin ebenfalls wieder, er nickte ihm kaum merklich zu.
    Dann ließ Martin den Blick weiterwandern. An jedem Ausgang staute sich eine Schlange, die kürzeste vor dem dritten, der in die Siwzew-Wrashek-Gasse führte. Selbige wählte er.
    Der junge Grenzer prüfte die Dokumente eines Wesens, das Martin nie zuvor mit eigenen Augen gesehen hatte. Ein Humanoid mit ölig schimmernder grauer Haut und zwei Paar Armen, der einen braunen Pelz und eine Art fellenes Barett trug, barfuß ging und aus winzigen, mit einer transparenten Membran überzogenen Äuglein dreinblickte. Im Nachschlagewerk von Garnel und Tschistjakowa Who is who im Universum hatte Martin diese Rasse entdeckt, sie sich aber nicht sonderlich gut eingeprägt. Das sprach für sie, denn gefährliche Außerirdische kannte er auswendig.
    »Da drüben ist die Wechselstelle«, erklärte der Grenzer dem Wesen. »Sie können sich einen individuellen Fremdenführer nehmen oder sich an eine Touristenagentur wenden. Sind Sie
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