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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum
Autoren: Sergej Lukianenko
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über, wobei ihm das warme Wasser nun angenehm kühl vorkam. Nach kurzem Zögern langte er nach seiner Kleidung, um einen Jeton und seine Uhr herauszuholen. Er band sich die Uhr um und betrachtete einen ausgedehnten Moment lang den Jeton.
    Hernach drückte er einige Knöpfe an der Uhr und hielt sie gegen den Jeton.
    Im Grunde verbot das russische Gesetz dergleichen. Nun ja, das stimmte nicht ganz: Für Privatpersonen war es verboten. Gleichwohl verkaufte man die Jetonscanner auf dem Schwarzmarkt, der Ordnung halber als Uhr oder Notebook getarnt.
    Auf dem kleinen Schirm erschienen einige Zeilen. Eine Nummer, die Martin nichts sagte. Ein Name. Das Alter. Die Nummer des letzten durchquerten Tors.
    Der Junge war Spanier und noch nicht einmal siebzehn Jahre alt gewesen.
    Martin stopfte den Jeton in die Hosentasche zurück und streckte sich im warmen Wasser aus. Früher oder später würden die Behörden hinter den Trick mit den als Uhren getarnten Scannern kommen und die Codierung der Jetons ändern – oder auch nicht. Vielleicht gehörte die Zeit, in der man Schließern und ihrer Klientel misstraute, inzwischen der Vergangenheit an.
    Martin kletterte aus der Wanne, ließ das Wasser ab und brauste die Wanne aus. Er rubbelte sich mit einem sauberen, geplätteten Handtuch ab, das er danach in einen Korb für Schmutzwäsche warf. Anschließend zog er sich an. Den Rucksack schulterte er noch nicht, sondern packte ihn an einem Riemen.
    So ging er zum Tor.
    Diese Station erfreute sich keiner sonderlichen Beliebtheit. Weder im Wohnblock noch an den drei automatischen Türen oder im Zentralbereich begegnete Martin jemandem. Ein kleiner runder Saal, das Herz der Station, wirkte ebenso asketisch wie der Rest. Der Computer auf einem hohen Pult schien das einzige Attribut moderner Technik zu sein. Letzten Endes handelte es sich dabei jedoch um das primitivste Detail des Systems, um nicht mehr als die Zündschnur an der Düse einer Rakete oder ein mechanisches Schloss an einer Computertastatur.
    Die Menschheit hatte sich, dies nebenbei bemerkt, an derlei Zwitter längst gewöhnt.
    Martin wartete, bis sich die Tür hinter ihm schloss und hermetisch dicht war. Das Display leuchtete auf. Martin zog die Tastatur zu sich heran, fuhr mit dem Cursor eine schier endlos lange Liste entlang. Die meisten Namen blinkten grün, was hieß, dass diese Orte dem Menschen offen standen. Gelbes Licht gab Planeten an, auf denen der Mensch unter Lebensgefahr existieren konnte, nämlich nur mit einer Sauerstoffmaske, oder aber auf denen er als unerwünschter Gast rangierte. Ein rotes Licht markierte jene Welten, in denen der Mensch überhaupt nicht – will heißen, nicht ohne solide Schutzmaßnahmen oder mit Hilfe der Bevölkerung vor Ort – überdauern konnte. Welten mit zu starker Gravitation oder zu dünner Atmosphäre, Welten, in denen man Chlor atmete, Welten, in denen die Luft elektrisch aufgeladen und mit Magnetfeldern von unglaublicher Stärke gesättigt war, Welten, in denen die Materie nach anderen physikalischen Gesetzen existierte. In diesem Zusammenhang beschäftigte Martin vor allem die Frage, wen die Schließer in jenen Welten in den Stationen einsetzten. Oder sollten sie etwa auf die dortigen Bewohner vertrauen? Oder auf Automaten?
    Beantworten konnten diese Frage freilich nur Schließer. Und die zogen es vor, zu fragen statt zu antworten.
    Aus der Liste wählte Martin die Erde. Daraufhin öffnete sich ein zweites Menü, das die vierzehn Tore enthielt, die der Menschheit zur Verfügung standen. Martin entschied sich für Moskau. Er klickte »Eingabe« an. Eine letzte Warnung erschien, doch Martin bestätigte sein Vorhaben.
    Das Display verdunkelte sich und schaltete sich aus.
    Ansonsten änderte sich nichts.
    Nichts, bis auf den Planeten, auf dem er sich befand.
    Martin nahm seinen Rucksack vom Boden auf und ging zur Tür. Hinter ihm versank das Computerpult langsam im Boden, um einer reichlich archaischen Konstruktion Platz zu machen, die aus Hunderten von bunten Hebeln an drei kleinen Trommeln aus schwarz lackiertem Ebenholz bestand. Folglich musste sich dem Tor ein Außerirdischer nähern. Und rein zufällig wusste Martin, was für einer.
    Im Gang, hinter der zweiten automatischen Tür, stieß er denn auch auf einen Geddar, ein Wesen von hohem Wuchs und mit nach menschlichem Maßstab unförmiger Figur. Das Gesicht wirkte beinahe wie das eines Menschen, nur die Augen standen zu weit auseinander und die Ohrmuscheln zeigten eine
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