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Spaziergang im Regen

Spaziergang im Regen

Titel: Spaziergang im Regen
Autoren: Alison Barnard
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nicht genutzt hatte.
    »Ich habe gestern mit Shara zu Mittag gegessen«, bemerkte Lisa beiläufig, und Jessa verschluckte sich fast. »Ich habe keine Ahnung, woher sie wusste, dass ich in Toronto bin, oder wie sie die Nummer meiner Hotelsuite herausgefunden hat, aber es klopfte an der Tür, und als ich öffnete, stand sie davor.«
    »Was wollte sie denn?« Jessa bemühte sich um einen uninteressierten Tonfall, scheiterte aber kläglich.
    »Was für einen Unterschied macht das denn für dich?«
    Jessa blieb stumm und blickte dem Katamaran nach, der einige hundert Meter vom Ufer entfernt über den See glitt.
    Als deutlich wurde, dass Jessa tatsächlich nichts darauf sagen würde, fragte Lisa: »Jessa, wann hörst du damit auf, sie für das zu bestrafen, was sie getan hat – was auch immer das sein mag?«
    »Ich bestrafe sie nicht. Ich vertraue ihr nur nicht.« Jessa trank einen Schluck Wein. »Hat sie sich schon einen neuen Typen geangelt?«
    »Was bringt dich denn auf die Idee? Glaubst du nicht, dass sie noch Interesse an dir haben könnte?«
    »Vielleicht, wenn es ihr in den Kram passt und für die Klatschblätter unschuldig genug aussieht«, bemerkte Jessa spöttisch. »Können wir jetzt bitte das Thema wechseln? Ich vertraue ihr nicht, und damit Basta.«
    Lisa ignorierte sie. »Sie hat mich gefragt, wie das damals mit Stephanie war, was genau vorgefallen ist. Wieso hast du ihr das nicht erzählt? Glaubst du nicht auch, dass das vielleicht was an ihrer Reaktion auf die Presse geändert hätte?«
    Jessa lachte freudlos. »Ihre Angst davor, was die Presse und die Öffentlichkeit ihr antun könnten, war anscheinend größer als ihre Liebe zu mir. Und das, obwohl sie nicht einmal weiß, wie brutal diese Mistkerle wirklich sein können. Wenn ich ihr all die Schauergeschichten erzählt hätte, wie zum Beispiel, dass einer von der Bande in mein Zuhause eingebrochen ist, glaubst du wirklich, dass sie dann eher dazu bereit gewesen wäre, sich mit denen anzulegen? Oder hätte ich ihr erzählen sollen, dass ich so von der Rolle war, dass ich mit Beruhigungsmitteln zugedröhnt werden musste, damit ich mich nicht selbst mitten in der Nacht durch mein eigenes Schreien aufwecken würde? Hätte mich das anziehender gemacht?«
    »Also hattest du schon vorher einen Mangel an Vertrauen in sie, noch bevor was-auch-immer passiert ist, sonst hättest du ihr doch davon erzählt, und nicht einfach diese Macho-Haltung eingenommen, die dich wie ein Ausbund an Unverwundbarkeit erscheinen lässt«, sagte Lisa in für sie ungewöhnlich kühlem Tonfall. Aber sie war es leid, tatenlos dabei zuzusehen, wie Jessa sich wieder in einen selbstzerstörerischen Teufelskreis begab, der diesmal durchaus schlimmer werden konnte, als der, der damals so abrupt in einem italienischen Krankenhaus endete.
    »Das kann sie doch nicht im Ernst annehmen«, sagte Jessa abwehrend, weil sie sich bewusst war, wie verletzlich sie war, wenn es um Shara ging. »Ich habe mich ihr vollkommen geöffnet, Lisa. Ich habe nichts zurückgehalten, und das weiß sie auch. Da ist nichts Machomäßiges an meiner Liebe für sie.« Sie verzog das Gesicht angesichts ihrer eigenen Schwäche. »Bevor sie ablehnte, mit mir nach Buenos Aires zu kommen, hatte ich ernsthaft erwogen, ihr einen dieser Briefe zu schicken, die du mir in meinen vierten Stapel steckst.« Sie senkte den Blick auf den Tisch und versuchte sich in einem verächtlichen Lächeln, aber ihre Lippen bebten zu stark. »Sag mir mal, was daran machohaft ist, ein Kind von ihr zu wollen. Nicht dass ich ihr das erzählt hätte . . . Ich habe mir das nur gewünscht, weil ich mir ihrer Gefühle nicht sicher war – obwohl ich sie doch immer wieder meiner Gefühle versichert habe . . . Wie auch immer. Es gibt weiß Gott schon zu viele Kinder, die nur aus Angst in die Welt gesetzt wurden: Angst vor Einsamkeit, Angst vor der Sterblichkeit, Angst, dass nichts übrigbliebe, wenn ein geliebter Mensch sich aus dem Staub macht –« Sie hielt inne, als hätte sie plötzlich bemerkt, dass sie mehr gesagt hatte, als sie Lisa eigentlich verraten wollte, und goss mehr Wein in ihr Glas. »Da ist verdammt nochmal überhaupt nichts Machohaftes an der Art und Weise, wie ich sie liebe«, wiederholte sie lahm und trank einen großen Schluck Wein.
    Lisa fiel auf, dass Jessa die Gegenwartsform benutzte und antwortete genauso: »Und was ist mit der Art und Weise, wie sie dich liebt? Es ist mir nie so vorgekommen, als wärt ihr deshalb nicht
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