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Spatz mit Familienanschluß

Spatz mit Familienanschluß

Titel: Spatz mit Familienanschluß
Autoren: Othmar Franz Lang
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Kuchenkrümel aus seiner Tasche darauf. »Ich hab Dachdecker getroffen«, berichtete er.
    »So ein Pech«, sagte Lucas schmatzend.
    »Es war kein Pech«, widersprach Markus. »Er ist hinter mir gestanden und hat auch den Anschlag am Schultor gelesen.«
    »Und?«
    »Er hat gefragt, was mit meiner Nase ist.«
    »Und was hast du gesagt?«
    »Ich hab gesagt, wie’s war. Die Zuckerbude, und daß es bei einem Rennen geschehen ist.« Markus befühlte die Narbe auf seiner Nase und fragte unsicher: »Es war doch ein Rennen?«
    »Und was für eines! Das wildeste Radrennen, das ich je gesehen habe. Der Giro d’Italia ist der reinste Sonntagsausflug von Pfadfindern dagegen. Was sagte Dachdecker dazu?«
    »Eigentlich nichts. Er hat mich nur ganz groß angesehen.«
    »Sehr gut. Da geht den Lehrern meist ein Licht auf, wenn sie einen groß ansehen. Sie erkennen nämlich auch nicht alles auf den ersten Blick. Und das hat im Grunde nichts mit den Augen zu tun. Du wirst sehen, er wird dich ab nun anders behandeln.«
    Markus war sich da nicht so sicher. Was bei Dachdecker das schwierige war, das schien bei anderen Lehrern ganz einfach zu sein. Man wußte ziemlich genau, was man sich bei ihnen erlauben durfte und was nicht, und die meisten behandelten ihre Schüler gleich, besser gesagt: möglichst gleich. Aber Dachdecker hatte Lieblinge und solche, die er nicht mochte. Er unterbrach sie während der mündlichen Prüfung fortwährend oder, was noch schlimmer war, er schickte Blicke mit verdrehten Augen zum Himmel und stieß lange Seufzer aus. Auch bei Markus hatte er das getan.
    »War sonst noch etwas mit Dachdecker?« fragte Lucas. Markus überlegte eine Weile, ob er ihm sagen sollte, daß Dachdecker seinen Wagen im Halteverbot abgestellt hatte, aber er behielt es für sich. Er wußte nicht warum. Vor dem Einschlafen dachte er nochmals daran. Dachdecker im Halteverbot, das war doch etwas, aber jetzt war es zu spät, Lucas damit zu kommen, der war bereits in sein Nest auf dem Schrank geschlüpft und schlief. Zumindest meldete er sich nicht mehr, nachdem ihn Markus leise gerufen hatte.
    Auch gut, dachte Markus, vielleicht ist es besser so. Und als er das Licht ausknipste und die Augen schloß, sah er Dachdecker die breite Stiege vom Schultor hinunter zu seinem Auto steigen, daß im absoluten Halteverbot stand. Das war ja nicht viel, was er da von Dachdecker wußte, aber immerhin soviel, daß er sich sagen konnte, auch Dachdecker macht nicht alles richtig, auch er tut Dinge, die man eigentlich nicht tun durfte. Und wenn das so war, dann war Dachdecker nicht nur ein Lehrer, vor dem man sich fürchten mußte, sondern vielleicht sogar ein Mensch.

15

    Am ersten Schultag brachte Markus beim Frühstück keinen Bissen hinunter. Seine adriatische Bräune war aus seinem Gesicht gewichen, er wirkte blaß und unausgeschlafen. Während seine Schwestern fröhlich und ohne Pause plapperten, brachte er kein Wort heraus. Gestern hatte er sich überhaupt nicht vor Dachdecker gefürchtet, aber heute war Schulanfang. Hoffentlich bekam er Dachdecker nicht als Klassenlehrer. Und dann seine Mitschüler, Bauer und Kaltenböck vor allem, die immer alle anderen gegen ihn aufhetzten. Wenn er jetzt wenigstens Lucas Altamura im Hemd gehabt hätte! Aber Altamura hatte ihm vom Fensterbrett her nur kurz einen guten Morgen gewünscht und ihm verraten, daß er am Gartentor auf ihn warten werde.
    Am Gartentor sagte Lucas: »Du schleichst schon jetzt angstvoll daher. So geht das nicht. Jeder sieht, daß du Angst hast. Du hast ein Gesicht wie ein grüner Apfel. Jeder merkt sofort, daß du dich fürchtest. Angst ist das einzige, was man verlieren kann, um zu gewinnen. Glaub mir. Denk auf dem Schulweg nichts anderes als: Ich muß meine Angst verlieren. Wer Angst verliert, gewinnt Mut, und das ist es! Mit ein bißchen Mut wird man der ärgsten Bruchbude von Schule zugestehen müssen, daß was Gutes an ihr dran ist. Man kann in ihr lernen, und man kann aus ihr jeden Tag klüger herausgehen, als man in sie hineingegangen ist.«
    »Ja, ja«, sagte Markus angeödet. Und er dachte daran, daß er schon viel gewonnen hätte, wenn er Stadler als Klassenlehrer bekäme. Nicht, daß er der Liebling von Stadler gewesen wäre, Stadler hatte keine Lieblinge, dafür hatte er auch keine Schüler, auf denen er immerfort herumhackte wie Dachdecker. Dachdecker war ein Lehrer, der krank machte, weil man sich nie mit ihm auskannte.
    »Hallo, Markus«, rief da Elisabeth. »Grüß dich,
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