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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld
Autoren: David Kessler
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Kindermädchen mehr.
    Man konnte es Arroganz nennen oder übertriebenes Selbstvertrauen – jedenfalls hatte sie mit dem Leben dafür bezahlt.
    Und in gewisser Weise machte sich Alex bis heute Vorwürfe.
    »Ich wünschte nur, ich könnte …« Er brach ab. Martine wusste auch so, was er meinte. Er wünschte sich, die Zeit zurückdrehen zu können. So wie jeder andere auch. Aber wie hatte sein Sohn David, der Physiker war, einmal zu ihm gesagt: Die Zeit läuft nun mal nicht rückwärts.
    Er versuchte, an etwas anderes zu denken. »Erklärst du mir, wie du diesen Wahnsinnsschuss hingekriegt hast?«
    »Vielleicht solltest du dir das besser von David erklären lassen. Es hat nämlich mit den Newtonschen Gesetzen zu tun. Wenn du den Objektball sehr schnell anspielst und ihn scharf anschneidest, prallt der Spielball in einem schrägen Winkel ab, wohingegen …« Martines Handy klingelte. Sie zog es aus der Tasche und meldete sich mit routinierter, professioneller Eile. »Martine Yin.« Die nächste halbe Minute schien sie aufmerksam zu lauschen. »Okay, ich bin in zehn Minuten da.« Verlegen wandte sie sich an Alex.
    »Ich weiß«, kam er ihr zuvor. »Die Pflicht ruft.«
    Sie bedankte sich für sein Verständnis und machte sich eilig aus dem Staub. Er zog eine gequälte Grimasse, als Sekunden später ein Automotor aufheulte und ihm klarmachte, dass das Raubtier in ihr zwar schlafen mochte, aber noch lange nicht tot war. Sie war immer noch Journalistin und allzeit bereit, einer guten Story nachzujagen, so wie er rund um die Uhr Anwalt war. Auch wenn er in seinem Beruf zum Glück keine Krankenwagen verfolgen musste.
    Er brachte noch genau einen Happen zum Mund, bevor sein eigenes Handy das vertraute Allegro aus Dvoraks Symphonie Aus der Neuen Welt schmetterte.
    »Mr Sedaka?«, fragte eine fast schon verzweifelt klingende männliche Stimme am anderen Ende der Leitung.
    »Ja.«
    »Ich bin der Produzent der Elias-Claymore-Show, und wir haben hier eine etwas unangenehme Situation. Gäbe es vielleicht die Möglichkeit, dass Sie nach L.A. kommen?«
    »Ich bin in San Gabriel.«
    »Oh, Gott sei Dank! Mr Claymore hat mich gebeten, Sie anzurufen. Er wurde verhaftet.«
    »Verhaftet? Weswegen?«
    »Irgendein falscher Vergewaltigungsvorwurf.«
    Jetzt wusste Alex, warum Martine so übereilt aufgebrochen war.

Freitag, 5. Juni 2009 – 16.50 Uhr
    »Gut, das hätten wir«, sagte die Kriminaltechnikerin und nahm den dritten Mundabstrich.
    Wie Bethel einige Stunden zuvor gab auch Claymore nun eine DNA-Probe von seiner Mundschleimhaut ab. Man hatte ihm nicht erzählt, dass der Vergewaltiger ein Kondom benutzt oder das Opfer den Vergewaltiger am Arm gekratzt hatte. Je weniger er wusste, desto größer die Chance, dass er sich selbst belastete, indem er Wissen aus erster Hand über das Verbrechen preisgab. Aber er wurde gründlich auf Kratzspuren untersucht, von denen gleich mehrere gefunden wurden.
    Das allein war jedoch alles andere als beweiskräftig. Entscheidendes Kriterium war die DNA. Es lagen mehrere gute Proben von Bethel vor. Jetzt brauchten sie nur noch eine eindeutige Übereinstimmung.
    Nachdem die Referenzprobe genommen worden war, setzte sich Alex zwanzig Minuten mit Claymore zusammen und besprach mit ihm, wo er sich zum Zeitpunkt der angeblichen Vergewaltigung aufgehalten hatte. Claymore war sich ganz sicher, dass er nichts zu verbergen hatte und die Fragen der Polizei beantworten wollte. Aber Alex blieb misstrauisch; er wusste, dass sogar Schuldige manchmal dachten, sie könnten sich bei der Polizei herausreden. Noch vertrauter war ihm allerdings die Naivität der Unschuldigen, die glaubten, sie hätten nichts zu verbergen. Alex kannte Elias seit vielen Jahren – seit er vor Gericht das Strafmaß wegen Justizflucht für ihn ausgehandelt hatte, nachdem Elias in die Staaten zurückgekehrt war, um für seine Taten gerade-zustehen. Damals hatte ihn Claymores Aufrichtigkeit beeindruckt, seine tiefe Scham über die eigene Vergangenheit. Aber das hatte zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr viel zu sagen. Ein Mensch, der sich einmal ändern konnte, konnte sich auch ein zweites Mal ändern. Tatsächlich bedeutete es nur, dass Alex einen gewissen Einfluss auf Claymore hatte.
    Aber Anwälte empfangen Anweisungen von ihren Mandanten, nicht umgekehrt. Nachdem Claymore darauf bestand, mit der Polizei zu sprechen, blieb Alex daher nichts anderes übrig, als seinen Text aufzusagen und dann beiseitezutreten, während die Befragung stattfand. Er
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