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Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)

Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)

Titel: Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
Autoren: Stefan Baron
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der Nationalen Kommission zur Untersuchung der Ursachen der Finanzkrise in den USA (»The Financial Crisis Inquiry Report«). Das Problem sei nicht menschliche Schwäche gewesen, »sondern menschliche Schwäche nicht einkalkuliert und entsprechend Vorsorge getroffen zu haben«. Gemeinsam, wenn auch sicher nicht einstimmig, habe die Welt »ein System, ein Regelwerk hingenommen bzw. unterstützt, das zu den bekannten Problemen geführt hat«.
    So ist es. Was wir heute nahezu einhellig ablehnen, haben gestern noch viele positiv oder zumindest neutral gesehen. Auch Werturteile sind zeitbedingt. Nicht alle, aber viele. Das vergessen wir leicht, wenn wir über die Vergangenheit urteilen.
    In seiner bemerkenswerten »Berliner Rede« zur Finanzkrise hat Bundespräsident Joachim Gauck darauf hingewiesen, dass sich »auch Führende« als »Verführte« erweisen können. Top-Manager werden von der Öffentlichkeit immer als Treiber wahrgenommen. Und so stellen sie sich ja auch selbst gerne dar. Aus der Nähe betrachtet sind sie aber selbst Getriebene. Das gilt auch für so starke Führungspersönlichkeiten wie Josef Ackermann.
    Der wahre Treiber in unserem marktwirtschaftlichen System ist der Wettbewerb. Globale Unternehmen wie die Deutsche Bank müssen um die Gunst der globalen Kapitalanleger, allen voran der sogenannten institutionellen Investoren, kämpfen und für diese attraktive Renditen erzielen, wenn sie nicht untergehen wollen. Was weithin übersehen wird: Hinter diesen Investoren (Lebensversicherungen, Kapitalanlage-Gesellschaften oder Pensionsfonds) stehen letztlich oft normale Bürger, Arbeiter und Angestellte, die für ihr Alter sparen und einen möglichst hohen Ertrag wollen.
    Gier und Hybris kommen sowohl bei Anlegern wie bei Unternehmensführern vor. Der Mensch ist nun einmal, wie er ist. So berechtigt es sein mag, seine Schwächen stets aufs Neue zu geißeln und nach Kräften dagegen anzukämpfen – entscheidend ist am Ende etwas anderes: Moralisches Versagen, Grenzüberschreitungen und Regelverstöße werden sich nie ganz verhindern lassen. Sie kommen aber in der Breite erst richtig zum Tragen, wenn die sogenannte Rahmenordnung, also die politische und wirtschaftliche Ordnung des Gemeinwesens inklusive vor allem der Rechtsordnung, nicht stimmt. »Alle moralischen Appelle helfen nichts«, so Josef Ackermann, »wenn die Anreizstrukturen falsch sind oder die Moral des ehrbaren Kaufmanns von einem weniger ehrbaren Wettbewerber ausgebeutet werden kann.«
    Gesellschaftlich erwünschtes Verhalten, ehrbare Kaufleute und Banker können wir verlässlich nur erwarten, wenn allgemeingültige Spielregeln dafür sorgen, dass ehrbare Kaufleute und Banker auch unter den Bedingungen einer (globalen) Wettbewerbswirtschaft erfolgreich sein können. Alles andere droht die Menschen, die an der Spitze von großen internationalen Banken und Unternehmen stehen, zu überfordern. Schon um an die Spitze zu gelangen, müssen sich solche Top-Manager gegen scharfe Konkurrenz behaupten und laufen dabei Gefahr, moralisch abzustumpfen.
    In seinem Standardwerk »Grundsätze der Wirtschaftspolitik« schreibt Walter Eucken, Gründervater der Sozialen Marktwirtschaft, von den Menschen dürfe »nicht gefordert werden, was allein die Wirtschaftsordnung leisten kann: ein harmonisches Verhältnis zwischen Eigeninteresse und Gesamtinteresse herzustellen«. Eine Ethik, die vom Einzelnen verlangt, systematisch gegen sein Eigeninteresse zu verstoßen, ist wirkungs- und damit nutzlos. Oder wie es der im Februar 2013 zurückgetretene Papst Benedikt schon als Kardinal Joseph Ratzinger ausgedrückt hat: »Eine Moral, die die Sachkenntnis der Wirtschaftsgesetze überspringen zu können meint, ist nicht Moral, sondern Moralismus. Also das Gegenteil von Moral.«
    Das heißt nicht, dass individuelle Tugendhaftigkeit und persönliche Moral nicht zählen. In einer dynamischen Welt können nicht alle Eventualitäten vorhergesehen und in der Rahmenordnung berücksichtigt werden. Schon deshalb ist ein ethischer Kompass, ist moralische Selbstverpflichtung für Unternehmensführer wichtig. »Nationalökonomisch dilettantischer Moralismus«, so Wilhelm Röpke, ein anderer der Gründerväter der Sozialen Marktwirtschaft, sei »ebenso abschreckend wie moralisch abgestumpfter Ökonomismus«.
    Aber politische Versäumnisse bei den Spielregeln für das Wirtschaftsgeschehen lassen sich durch individuelle Tugend nicht ausgleichen. Eine »ethische Besserung des Menschen«
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