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Späte Heimkehr

Späte Heimkehr

Titel: Späte Heimkehr
Autoren: Di Morrissey
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einmal, und der winkte ihnen fröhlich nach, als sie sich schluchzend auf den Schulweg machten. Brian wurde zu den Pembertons geschickt, wo er unter Sarahs Aufsicht spielen konnte und nicht mitbekam, wie Richie weggebracht wurde. Dann setzten Gwen und Bob sich still hin und warteten.
    Der Wagen hielt vor dem Haus, und die Kinderfrau – eine reizlose Frau um die dreißig – sowie ein Mann im dunklen Anzug stiegen aus. Gwen stand mit Richie im Arm am Tor. Bob trat vor und übergab dem Mann den kleinen Pappkoffer mit Richies Kleidung und ein paar Spielsachen. Nachdem er die Einverständniserklärung unterschrieben hatte, winkte er Gwen heran. Mit einem Lächeln streckte die Kinderfrau die Arme nach Richie aus, der sich jedoch abwendete und das Köpfchen an Gwens Schulter verbarg. Gwen liefen die Tränen über das Gesicht, sie konnte Abbys Baby nicht weggeben.
    Bob nahm ihr den Jungen aus den Armen. »Mach es dir nicht noch schwerer, Liebling.« Er gab Richie einen Kuss und reichte ihn dann an die Kinderfrau weiter. »Sei ein braver Junge, Kumpelchen«, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme.
    Die Frau musste schlucken. »Ich werde mich gut um ihn kümmern. Bitte glauben Sie mir das.«
    Als sie in den Wagen stieg, begann Richie zu brüllen. Er strampelte und streckte seine molligen Ärmchen nach Gwen aus, als er begriff, dass sie nicht mitkommen würde.
    Bob drückte Gwens Hand, als der Wagen losfuhr. »Richie …«, schrie Gwen auf, als sie sein weinendes Gesichtchen an der Fensterscheibe sah.
    Bob legte die Arme um sie und drückte sie fest an sich, als sie sich zu befreien versuchte, um dem Wagen nachzulaufen. Als ihre Gegenwehr nachließ und sie schließlich nur noch still vor sich hin schluchzte, führte er sie ins Haus, setzte sie in der Küche auf einen Stuhl und begann Tee zu kochen.
    Am selben Tag noch, aber erst sehr viel später, entdeckte Gwen, dass sie vergessen hatten, Richie die Spielzeuglokomotive mitzugeben, die Mr. Richards ihm geschnitzt hatte.
    Bob stellte sie auf den Kaminsims. »Wir schicken sie ihm rüber. Abby hat sich so darüber gefreut …«
    Das war zu viel für ihn. Er presste die Stirn gegen den kalten Stein, und seine Schultern hoben und senkten sich, als er seinem Kummer und seiner Verzweiflung endlich freien Lauf ließ.

[home]
    Achtzehntes Kapitel
    D rei Weihnachten vergingen. Jedes Jahr, wenn der Weihnachtsstern seine leuchtend roten Blüten trug, legten die McBrides einige davon zusammen mit anderen Wildblumen auf die Gräber von Abby und Barney. Mit der Zeit war der Schmerz erträglicher geworden, aber jedes Mal, wenn sie an den kleinen Richie dachten, der allein auf Amba lebte – und sie dachten oft an ihn –, drängte die Traurigkeit wieder an die Oberfläche.
    Seit dem Tag, als er Gwen aus den Armen genommen worden war, hatten sie keinen Kontakt mehr mit ihm gehabt. Gwen und Bob gaben sich Mühe, ihre Kinder und sich selbst davon zu überzeugen, dass er auf Amba viel bessere Zukunftsaussichten habe. Sie hätten ja wenigstens einander, während Phillip Holten ganz allein war. Aber alle Vernunft war machtlos gegen Gwens Sehnsucht, das Kind ihrer Tochter wieder in die Arme nehmen zu können.
    Die Jahre waren unendlich langsam vergangen, und Gwen fühlte sich viel älter, als sie eigentlich war. Ihr fiel auf, dass die Trauer auch in Bobs Gesicht tiefe Spuren hinterlassen hatte. Die beiden hatten im Laufe der Jahre immer wieder versucht, Richie wiederzusehen, und waren jedes Mal von Phillip Holten abgewiesen worden. Richie verbrachte die meiste Zeit auf Amba, und sie hätten wohl gar nichts mehr von ihm erfahren, wenn Mrs. Anderson sie nicht von Zeit zu Zeit besucht und ihnen von seiner Entwicklung berichtet hätte.
    Einmal, es war mittlerweile etwa ein Jahr her, überquerte Gwen die Hauptstraße in der Stadt, und Phillip Holtens Wagen fuhr an ihr vorüber, am Steuer ein Mann, den sie nicht erkannte: Sie erhaschte einen flüchtigen Blick auf das traurige Gesicht des kleinen Jungen auf dem Rücksitz und blieb mitten auf der Straße stehen, als ihr klar wurde, dass es Richie gewesen war. Sie musste sich mit aller Kraft zusammenreißen, um dem Auto nicht hinterherzulaufen. Alles in ihr drängte danach, den Wagen einzuholen, ihre Einkaufstasche gegen das Fenster zu schlagen, die Tür aufzureißen und ihren kleinen Enkelsohn zu befreien.
    Erst ein höfliches Hupen hinter ihr riss sie aus ihrer Versunkenheit und machte ihr bewusst, dass sie immer noch wie gelähmt auf der
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