Späte Heimkehr
an Barney denken, wie er als Baby war …« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und als sie zu schluchzen begann, nahm Jim sie tröstend in die Arme.
Innerhalb von zwei Monaten hatte Enids Gesundheitszustand sich dramatisch verschlechtert. Ihre Herzrhythmusstörungen hatten so zugenommen, dass sie ins Krankenhaus eingewiesen werden musste. Phillip saß den größten Teil des Tages an ihrem Bett, während sie nach Atem rang. Die Ärzte machten ihm wenig Hoffnung. In klaren Momenten kannte sie nur ein Thema – das Kind. Phillip konnte es beinahe nicht mehr ertragen, aber das Mitgefühl für seine Frau zwang ihn, ihr zuzuhören und auf sie einzugehen.
Eines Tages saß er am späten Nachmittag bei ihr, als sie plötzlich die Augen öffnete, die unnatürlich glänzten, und ihn durchdringend ansah. Sie nahm seine Hand und drückte sie mit überraschender Kraft. »Phillip«, flüsterte sie heiser. »Ich hätte das Kind so gern bei mir gehabt … wollte es lieb haben. Es ist ein Teil von mir, Phillip, und auch von dir … verstehst du? Es braucht unsere Liebe.«
Die Anstrengung erschöpfte sie, ihre Hand fiel zur Seite, und einen Moment lang sah es so aus, als würde sie einschlafen. Dann schlug sie die Augen wieder auf und suchte nach Phillips Blick. »Wir alle brauchen Liebe. Liebe ist das einzig Wichtige in dieser Welt … verstehst du das, Phillip?«
Er griff nach ihrer Hand. »Ja, Liebling«, sagte er eilig. Er wollte sie beruhigen, obwohl er nicht wirklich begriff, was sie ihm sagen wollte. »Enid, Liebling, du solltest dich nicht aufregen. Ruh dich doch etwas aus.«
Sie schloss die Lider, und Phillip blieb noch etwas bei ihr sitzen, um dann aufzustehen und nach der Schwester zu suchen. Als er zurückkam, war Enid friedlich entschlummert.
Die Schwester fühlte nach ihrem Puls und warf Phillip dann einen Blick zu: »Es tut mir Leid, Mr. Holten.«
»Sie hatte keine Schmerzen«, erwiderte Phillip, der nicht wusste, was er sonst hätte sagen sollen. Er küsste seine Frau auf die Stirn und ging dann mit gebeugtem Kopf langsam aus dem Zimmer.
Verbittert und allein in seinem Kummer, vergrub Phillip sich in seine Arbeit auf der Farm und lehnte alle Einladungen der Pembertons oder anderer Bekannter ab, sie doch zu besuchen oder zum Essen zu bleiben. Mit den Andersons sprach er nur das Allernotwendigste. Er konnte einfach nicht fassen, was aus seinem Leben geworden war. Bald galt er als Einzelgänger, als einsamer und verbitterter alter Mann.
In der Stadt wurde über seinen Hass auf die McBrides geredet – er gebe der Familie die Schuld dafür, dass er erst seinen Sohn und nun auch seine Frau verloren hatte. Aber die Klatschmäuler konnten nicht ahnen, was Phillip Holten wirklich quälte. An den langen einsamen Abenden, die er allein in der dämmerigen Bibliothek verbrachte, starrte er in die Dunkelheit hinaus und grübelte darüber nach, wie er aus den Trümmern seines Lebens noch etwas Sinnvolles erschaffen könnte. Immer wieder hörte er Enids Stimme:
»Ich hätte das Kind so gern bei mir gehabt … wollte es lieb haben. Es ist ein Teil von mir, Phillip, und auch von dir … es braucht unsere Liebe.«
Immer wieder klangen diese Worte in seinen Ohren, wie eine Schallplatte, die hängen geblieben ist – und dann beschloss er zu handeln.
Die Schersaison war gerade beendet, da erhielten die McBrides ein Schreiben von einem Rechtsanwalt aus Sydney. Als Bob den Brief las, verhärteten sich seine Gesichtszüge, und seine Hände begannen vor Wut zu zittern.
»Das kann er nicht tun«, stieß er hervor. »Ich kann es nicht fassen. Er kann uns Richie nicht wegnehmen.«
Gwen riss ihm den Brief aus den Händen und las ihn selbst. Während sie versuchte, das Unfassbare zu begreifen, ließ sie sich in den Rohrstuhl auf der Veranda sinken – Phillip Holten leitete rechtliche Schritte ein, um das Sorgerecht für seinen Enkel zu erhalten.
Sie sah Bob an. Einen Augenblick lang war sie sprachlos. Dann schloss sie die Augen und sagte ein stilles Gebet.
»Mit welchem Recht, frage ich dich? Wie kommt er dazu?«, schnaubte Bob.
»Vielleicht hat er ja dasselbe Recht wie wir, Schatz«, entgegnete Gwen leise. »Es gibt kein Testament. Wir haben uns doch nie um die rechtliche Seite gekümmert, weil wir einfach davon ausgegangen sind, dass …«
»Das hört sich ja an, als wolltest du es zulassen«, sagte Bob verwirrt. »Sollen wir uns denn nicht wehren …?«
»Es wird am besten sein, wir wenden uns an
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