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Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Titel: Sozialdemokratische Zukunftsbilder
Autoren: Eugen Richter
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immer zu ihrem Geburtstag einen schönen saftigen Kalbsbraten mit Backpflaumen, unsern historischen Kalbsbraten, wie ihn Franz immer scherzhaft nannte. Wenn Ihr auch, so meinte meine Frau wehmütig, als der Braten auf den Tisch erschien, nächstens zu Besuch kommt, einen Kalbsbraten kann ich Euch doch nicht vorsetzen, denn eine Küche haben wir dann nicht mehr. Alle Achtung vor Deinen Kalbsbraten, so schaltete ich ein, aber darum können wir doch unsere Ideale nicht preisgeben. Wir werden auch künftig Kalbsbraten essen und sogar öfter und noch manches andere Leckere dazu. Aber, so meinte sie, der eine bekommt dann hier, der andere dort zu essen. Was dem Herzen bei der Trennung verloren geht, kann das große Wohlleben nicht ersetzen. Es ist mir auch nicht um den Kalbsbraten, sondern um das Familienleben.
    Also nicht um die Wurst, sondern um die Liebe, so scherzte ich. Tröste Dich, Alte, wir werden uns künftig auch recht lieb haben und noch mehr freie Zeit als bisher, es uns sagen zu können.
    Ach, sagte meine Frau, ich wollte mich lieber wieder 10 und 12 Stunden hier im Hause für Euch plagen, als dort 8 Stunden für fremde Kinder, die mich nichts angehen.
    Warum muss das alles sein, fragte sie dann scharf, und die Schwiegertochter, die immer meiner Frau beistimmt, wenn sie auf solche Kapitel kommt, wiederholte die Frage noch schärfer. Wenn die beiden zusammen ein Duett reden, so ist für mich kein Aufkommen mehr, zumal wenn Franz sich so neutral verhält oder gar seiner Braut dabei zunickt.
    Habt Ihr denn nicht mehr in Erinnerung die schönen Vorträge von Fräulein W. über die Emanzipation des Weibes, ihre Gleichberechtigung in der Gesellschaft mit dem Mann? Damals haben Euch doch diese Reden ebenso begeistert, wie Bebels Buch!
    Ach Fräulein W. ist eine alte Jungfer, die immer nur Chamber garnie oder in Schlafstellen gewohnt hat, erhielt ich darauf zur Antwort.
    Darum aber kann sie doch Recht haben, erwiderte ich. Gleiches Arbeitsrecht und gleiche Arbeitspflicht ohne Unterschied des Geschlechts ist die Grundlage der sozialisierten Gesellschaft. Unabhängigkeit der Frau vom Manne durch gleichen und selbständigen Erwerb der Frau außer dem Hause, keine Haussklaven mehr, weder Sklavendienste der Frau noch der Dienstboten. Darum äußerste Beschränkung der Häuslichkeit durch Übertragung häuslicher Arbeit auf große Anstalten der Gesellschaft. Keine Kinder und keine älteren Personen mehr in der Häuslichkeit, damit nicht die ungleiche Zahl solcher Pfleglinge in der Familie die Unterschiede von Arm und Reich aufs Neue hervorbringt. So hat es uns Bebel gelehrt.
    Das mag ja alles recht mathematisch ausgedacht sein, meinte Großvater, aber glücklich, August, macht das nicht. Denn warum? Die Menschheit ist keine Hammelherde.
    Großvater hat Recht, rief Agnes, und damit fiel sie Franz um den Hals mit der Versicherung, sie wolle gar nicht von ihm emanzipiert werden.
    Da war es denn freilich mit einer vernünftigen Auseinandersetzung zu Ende. — Ich wollte doch, der morgige Trennungstag wäre schon überstanden.

9. Der große Umzug
    Statt der Droschke, welche heute die Kinder und Großvater abholen sollte, hielt am Morgen ein Möbelwagen vor der Tür. Mit der Übersiedelung hätte es noch bis zum Abend Zeit, so sagte der Schutzmann. Zuvor aber sei er beordert worden, Möbel aufladen zu lassen.
    Was soll denn das heißen, rief meine Frau erschrocken, ich denke, das Hausgerät bleibt Privateigentum.
    Gewiss, gute Frau, sagte der Schutzmann, alles Hausgerät sollen wir auch nicht abholen, sondern nur die hier im Inventar bezeichneten Stücke nimmt die Gesellschaft in Anspruch. Dabei holte er ein Inventar hervor, welches wir früher hatten einliefern müssen, und zeigte uns auch eine Bekanntmachung im „Vorwärts“, welche wir allerdings unter den Aufregungen der letzten Tage übersehen hatten.
    Als meine Frau sich gleichwohl von ihrem Erstaunen über das Abholen von Möbeln nicht erholen konnte, meinte der Beamte, welcher sich übrigens recht höflich benahm: Aber, liebe Frau, wo sollen wir denn sonst die Möbel hernehmen, um alle die neuem Anstalten für Kindererziehung, Altersversorgung, Krankenpflege u. s. w. auszustatten?
    Ja, warum gehen Sie denn nicht zu den reichen Leuten, welche ganze Häuser mit den schönsten Möbeln bis zum Dach vollgepfropft haben, und leeren dort aus?
    Tun wir auch, Frauchen, schmunzelte der Beamte, in der Tiergartenstraße, Viktoriastraße, Regentenstraße und überall dort herum
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