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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs
Autoren: David Foenkinos
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vergossen dafür umso mehr Tränen. Versuchten ein wenig, sein Leben zu rekapitulieren, ließen einige Erinnerungen anklingen, dann sank er in die Grube, und das war’s.
    ∗ Später sollte ich erfahren, dass das gar nicht stimmte. Meine Großeltern tanzen zwar oft und gern, doch ihre erste Begegnung hatte unter weitaus dramatischeren Bedingungen stattgefunden. Aber es steht ja jedem frei, die eigenen Erinnerungen zu verschönern.

2
Erinnerungen meines Großvaters
    Es war ein wundervoller Sonntag. Mein Großvater hatte sich soeben ein Auto gekauft, er platzte geradezu vor Stolz. Er sprach von «meinem Automobil», so, wie er hätte sagen können «mein Sohn». Ein Auto zu besitzen bedeutete, sein Leben zu meistern. Er schlug vor, mit der ganzen Familie einen Ausflug ins Grüne zu machen. Meine Großmutter bereitete ein Picknick vor. Und auch dieses Wort «Picknick» klang auf wundersame Weise magisch. Friedlich rollte er dahin, seine Frau zu seiner Rechten, während seine drei Söhne sich auf der Rückbank zusammendrückten. Er hätte so bis ans Meer dahinrollen können, und selbst der Mond schien nicht ganz unerreichbar. Sie fanden ein hübsches Fleckchen an einem Waldrand in der Nähe eines Sees. Die Sonne strahlte durch das Geäst der Bäume und verlieh dem Tag den Glanz eines Traums.
     
    Mein Großvater war seiner Frau in tiefer Liebe verbunden. Er bewunderte ihre Charakterstärke wie ihr sanftes Gemüt, hatte Achtung vor ihren inneren Grundsätzen. Was ihn nicht davon abhielt, sich auch anderen Frauen zuzuwenden, doch das zählte jetzt nicht. Es zählte allein der Familiensonntag und die belegten Baguettes. Alle waren hungrig. Mein Großvater schluckte den ersten Bissen hinunter, der wie ein Glücksverstärker wirkte. Er mochtedas Brot, er mochte den Schinken, doch seine Frau hatte obendrein für eine himmlisch schmeckende selbst gemachte Mayonnaise[ ∗ ] gesorgt. Diese Mayonnaise war überwältigend, in ihr kristallisierte sich die Schönheit seiner liebsten Erinnerung.
    ∗ Jahre später bat er seine Frau: «Kannst du deine Mayonnaise mal wieder machen?» Sie gab zurück: «Ich kann mich nicht mehr an das Rezept erinnern.» Diese Antwort, die für meinen Großvater weit mehr als das Vergessen einer Zutat bedeutete, denn er sah in ihr das Ende einer Ära, die zu einem tragischen Abschluss gekommen war, ließ mein Großvater nicht gelten, und er drängte seine Frau, die sagenhafte Mayonnaise erneut herzustellen. Stundenlang schwänzelte er in der Küche um sie herum, kostete jeden neuen Versuch und brauste auf, wenn ihm eine Zitronenschale unangebracht erschien. Aussichtslos, diese seltsame Variante eines Paradieses war unwiederbringlich verloren.

3
    In den darauf folgenden Tagen kam ich mir wie ein Fremder in meinem eigenen Leben vor. Ich existierte, ich war vorhanden, aber der Tod meines Großvaters nahm mich vollends ein. Doch dann entwich das Leid. Ich dachte immer seltener an ihn, und nun gondelt er friedlich durch meine Erinnerung, auf meinem Herzen liegt nicht mehr die Last der ersten Zeit. Ich glaube sogar, ich empfinde keine echte Trauer mehr. Das Leben gleicht einer Maschinerie zur Erforschung unserer Gefühllosigkeit. Man überlebt den Todso leicht. Sich vorzusagen, dass es auch nach einer Liebesamputation irgendwie weitergeht, ist immer ein merkwürdiges Gefühl. Die neuen Tage brachen an, und ich sagte ihnen Bonjour.
     
    Ich träumte damals davon, Schriftsteller zu werden. Das heißt, ich träumte eigentlich nicht. Man kann sagen, ich schrieb und hatte nichts dagegen einzuwenden, dass dieser neuronale Reiz mir ungemein half, meine Tage herumzubringen. Aber alles war so unsicher. Diese Jahre, in denen meine Zukunft im Ungewissen lag, sind mir noch immer sehr gegenwärtig. Alles hätte ich darum gegeben, hätte ich die Grundzüge meines Erwachsenendaseins erkennen können, hätte man mir gesagt, keine Sorge, du wirst deinen Weg schon machen. Aber es bewegte sich eben nichts vorwärts, daran war nicht zu rütteln. Und niemand kam auf den Gedanken, Erinnerungen an die Zukunft zu erfinden. Ich wollte ein Leben führen, das ein bisschen heroisch war, das heißt, es brauchte ja nicht gleich sportlich zu werden. Jedenfalls hatte ich mich entschieden, Nachtportier zu werden, denn, so glaubte ich, diese Arbeit würde einen Sonderling aus mir machen. Ich denke, das Ganze hing auch mit Antoine Doinel zusammen. Ich wollte wie der Held eines Truffaut-Films sein. Ich nannte die «Züge meiner
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