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Soucy, Gaetan

Soucy, Gaetan

Titel: Soucy, Gaetan
Autoren: Trilogie der Vergebung 02 - Die Vergebung
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vonIntelligenz und Schlichtheit, von Sanftheit und Kraft, was tatsächlich dasselbe war. Und dieser diskrete, dieser reservierte, dieser schüchterne Mensch schaute einen bisweilen, in einem Moment, da man es am wenigsten erwartete, mit dem lebhaftesten, vernichtendsten Blick an, der einem Seele und Herz bloßlegte, sie von Lügen und Vorwänden entkleidete, sie zu jenen Männern machte, die der Oberleutnant im Krieg gesehen hatte, denen die Kleider durch die Wucht einer Bombe vom Leibe gerissen worden waren.
    Hurtubise setzte sich neben ihn, ganz ergriffen. Er hätte Bapaume liebend gern den Arm auf die Schultern gelegt.
    »Und Ihr Besuch bei den von Crofts? Geht es ihnen gut?«
    »Das sind Tröten«, entgegnete Bapaume, ohne die Nase vom Blatt zu heben.
    Er hatte den Brief zu Ende geschrieben und steckte ihn in einen Umschlag. Er überreichte ihn dem Offizier.
    »Der ist für Sie.«
    »Für mich?«
    »Ich würde Sie bitten, ihn erst nach meiner Abreise zu öffnen.«
    Eine Einzelheit, die Hurtubise bisher entgangen war, ließ ihm schlagartig, als Louis sich erhob, das Blut in den Adern gerinnen. Der Musiker trug als Gürtel ein Stück altes Wäscheseil. Der Offizier sah, dass der andere seine Verwirrung bemerkt hatte, und drehte errötend den Kopf zur Seite.
    »Na, da bist du ja!« schleuderte er grimmig Chouinard entgegen, der soeben eintrat. »Wo warst du denn wiederden ganzen Tag? Zwanzigmal hätte ich dich gebrauchen können!«
    Chouinard strengte nebulöse Ausflüchte an.
    »Lass gut sein, wir regeln das später!«
    Louis Bapaume schien es eilig zu haben mit der Abreise. Hurtubise begleitete ihn zur Tür. Er hielt lange die Hand des Reisenden in der seinen.
    »Ihre Hand ist voller Musik«, sagte er. »Das spürt man, glauben Sie mir.«
    Und die Frage: »Unter uns, sagen Sie, was hatten Sie dort wirklich zu schaffen?«, brannte ihm auf den Lippen. Doch letztlich:
    »Es war mir eine Freude und Ehre, Monsieur Bapaume. Ich hoffe von ganzem Herzen, Sie eines Tages wiederzusehen.«
    Bapaume schien kurz davor, etwas zu sagen. Mit stockendem Herzen versuchte der Offizier mit den Augen zu sagen: »Sie können mir vertrauen.«
    »Eine Sache, die ich versäumte, in den Brief zu schreiben. Im Dorf ist eine Dame … Sie spielt in der Kirche Orgel …«
    »Ja?«, entfuhr es Hurtubise, der auf weitere Ausführun gen wartete.
    Doch der Musiker machte eine Handbewegung, die sagen sollte: »Wozu?«, hob seinen flachen Hut mit der breiten Krempe, stammelte ein Adieu, und das war alles.
    Hurtubise trat ans Fenster. Der Reisende betrat mit ruhigem, schicksalsergebenem Schritt die Bahngleise. »Was für ein komischer Vogel! …«, sagte sich der Offizier wieder und wieder. Eine verlässliche Stimme in seinem Innern, eine Stimme, die ihn noch nie getäuscht hatte,sagte ihm, dass dieser Kerl ihm mit absoluter Sicherheit zum Freund werden würde. Er öffnete den Umschlag. Dieser enthielt einige Dollarnoten.
    Grafschaft Saint-Aldor
    23. Dezember 1946
    Lieber Oberleutnant Hurtubise,
    lieber Freund,
    anbei das Geld, das ich den Herbergsleuten zu schulden glaube, denen es zu erstatten ich versäumt habe. Da Sie es sind, dem ich das Geld anvertraue, kann ich sicher sein, dass es denen zukommen wird, für die es bestimmt ist. Sie sind ein ehrlicher Mann. Und ich glaube nicht, dass es ein größeres Kompliment geben kann. Dies aus dem Munde des schlimmsten aller Sünder.
    Was ein etwaiges Treffen unserer beiden Françoises betrifft, wie Sie sie nennen, so muss ich Ihnen leider sagen, dass es für alle Zeit unmöglich sein wird. Wir haben vergangenen April unseren einzigen Sohn verloren, und davon hat sich meine Frau nie wieder erholt. Sie war ein Mensch mit großen Gaben, sowohl des Herzens wie auch des Geistes, doch ist sie nie darüber hinweggekommen, dass ein so wichtiger Teil unseres Lebens zerbrochen ist, diese Lawine hat sie mit sich fortgerissen.
    Monatelang musste ich dies furchtbare Schauspiel miterleben: die Vereisung einer Existenz. Meiner Frau war kalt, ständig war ihr kalt. Auf der Straße, in der pral len Sonne, mitten im Juli. Beim Anblick der Bäume, der Wiesen, der Blumen musste sie frösteln. Auch beim Anblick des Himmels, der Leere wegen. So zog sie sich schließlich in ihr Zimmer zurück. Sie lief darin den ganzen Tag im Kreis, schlotternd und bibbernd. Und, Herr Oberleutnant, man konnte ihren gefrorenen Atem sehen. Ist das zu glauben? Im August, in der allergrößten Hitze. Ich versuchte, sie wieder zu Vernunft zu
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