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»Sorry, wir haben uns verfahren«

»Sorry, wir haben uns verfahren«

Titel: »Sorry, wir haben uns verfahren«
Autoren: Stephan Antje; Orth Blinda
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dem Fenster zu schauen, wann er sich vor seinem Reiseziel aus dem Sitz erheben muss, um als Erster an der Tür zu sein. Den Kaffee der Am-Platz-Bedienung weist er empört von sich, er hat sich daran schon mal den Magen verdorben. Zum Klimaanlagen-, Winter- und Weichenchaos der Bahn könnte er endlose Anekdoten erzählen. Die gutwillige Variante dieses Bahn-Besserwissers klärt seine unbedarfteren Mitfahrer über jegliche Zugverbindung bis zu ihrem Reiseziel auf.
    Lieblingsaccessoire: Smartphone mit Bahn-App
    Gesprächsthema: seine Interrail-Tour vor 32 Jahren
    Gegenmaßnahme: über den eigenen angeblichen Senator-Vielfliegerstatus schwadronieren
    Die Versunkene
    Vergraben in ihrem 500-Seiten-Schmöker, bildet diese Bahnfahrerin die Kulisse für die aktiveren Artgenossen. Nichts und kaum etwas kann sie aus ihrer Faszination an dem »Biss«-Vampirroman (oder Terry-Pratchett-Schmöker bei den selteneren männlichen Varianten) reißen – keine Bahnverspätung, kein Personenunfall, keine Gruppentiere. Störungen bewirken höchstens ein verträumtes Hochsehen zur groben Orientierung und eine leichte Drehung des Oberkörpers weg von der Lärmquelle. Sollte sie bei einem eventuellen Bahnchaos auf einem abgelegenen Bahnhof stranden, ist die Gefahr groß, dass sie dies kaum bemerkt. Manchmal jedoch erschreckt sie ihre Mitfahrer, wenn sie unvermittelt zusammenzuckt, »Mistmistmist« schreit, ihre Utensilien zusammenrafft und zur Tür stürzt – meist hat sie dann schon ihr Ziel verpasst.
    Lieblingsaccessoire: Buch
    Gesprächsthema: Jeder Versuch zum Smalltalk ruft nur ein abwesendes »Hmm« hervor
    Gegenmaßnahme: nicht nötig

Deutsch – Bahn, Bahn – Deutsch
    Wie heißt …
    â€¦ das elektronische Kontrollgerät der Zugbegleiter, das Tickets scannen und ausdrucken kann?
    Mobiles Terminal (MT)
    â€¦ das akustische Signal des Zugbegleiters, das eine baldige Abfahrt ankündigt?
    Achtungspfiff
    â€¦ die Stelle, die den idealen Trefferpunkt des Nothammers markiert?
    Roter Punkt an den Einschlag-Notausstiegfenstern
    â€¦ der Rot- und der Weißton, der bei der ICE-Außenlackierung verwendet wird?
    Verkehrsrot und Lichtgrau
    â€¦ der ziehharmonikaförmige Kunststoff an den Über­gängen zwischen zwei Waggons?
    Faltenbalg
    â€¦ der Check des Lokführers vor der Abfahrt, dass keiner mehr zu- oder aussteigen will?
    Serviceblick
    â€¦ die Information außen am Waggon, die Zwischenhalte und Zugnamen anzeigt?
    Zuglaufschild



Kapitel 4
    Verwirrt, verirrt, verspätet:
    Â»Wir wissen leider selber nicht, wo wir sind«
    Schon auf wenige Minuten Verspätung reagiert der Passagier von heute gereizt, bei über einer Stunde Verzögerung fordert er ein Viertel des Fahrpreises zurück. Solche Probleme hatte der Reisende Anfang des 19. Jahrhunderts nicht – weder Smartphone noch Globalisierung machten sein Leben hektisch. Ganz im Gegenteil: Ihn begeisterte die ungeheure Geschwindigkeit der in Deutschland gerade eingeführten Eisenbahn von 35 km/h – galt doch bis 1835 die Postkutsche mit ihren höchstens 12 km/h als schnellstes Fortbewegungsmittel.Der Aufbruch ins Bahnzeitalter rief zwar Euphorie hervor, weil er bisher ungeahnte wirtschaftliche Möglichkeiten verhieß. Zunächst wirbelte er aber auch die Begriffe von Zeit und Raum durcheinander: »Welche Veränderungen müssen jetzt eintreten in unsrer Anschauungsweise und in unsern Vorstellungen«, schrieb Heinrich Heine 1843 im französischen Exil. Durch die Eisenbahn werde der Raum getötet, »es bleibt uns nur noch die Zeit übrig«. Dem deutschen Dichter war, »als kämen die Berge und Wälder aller Länder auf Paris angerückt. Ich rieche schon den Duft der deutschen Linde; vor meiner Türe brandet die Nordsee«. Die neue Geschwindigkeit brachte die ersten Bahner in Erklärungsnöte – wie sich an den damaligen Fahrplänen ablesen lässt. Eine »Eisenbahn Karte« von 1848 gab als Entfernung zwischen Berlin und Hannover 82 Stunden an, zwischen Altona und Kiel betrug sie 28 Stunden und von Köln nach Ostende 90 Stunden. Doch mit Fahrzeit hatten diese Angaben nichts zu tun – wie damals üblich, war die Wegstrecke in Gehzeit angegeben. Als eine »Stunde« galt noch jene Entfernung, die ein normal schneller Wanderer in einer Zeitstunde zurücklegen konnte, also vier bis fünf
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