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Sonnenwanderer

Titel: Sonnenwanderer
Autoren: Colin Greenland
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Deimosmarmor belegt. Der Esstisch hätte
einem kleineren Saal von Walhalla zur Ehre gereicht und war von einem halben Dutzend hochlehniger Throne aus Eisen und Glas umgeben. Kästen, Rucksäcke, Tornister und Taschen standen herum, halb gepackt oder halb ausgepackt, dazwischen zerknüllte Klamotten und allerlei Apparate und technisches Zubehör.
    Auf dem entfernten Ende des Tisches standen Essensreste - Flechtenbrot, Dörrschnecken, Auberginen: was es hier so gab. Eine fahle Katze, die darin herumschnupperte, sah auf. Sie trabte auf dem Tisch in Richtung des Besuchs. Sprang herunter und kam her, um an Tabeas Stiefeln zu schnuppern, dann sah sie zu ihr auf. Sie hatte nur noch ein Auge.
    Dodger Gillespie erhob sich vom Tisch, blieb stehen und sah her. Der rechte Arm war komplett bandagiert, die linke Faust in die Hüfte gestemmt.
    »Dodger, altes Haus«, rief Tabea. Mit dem Motorrad hatte sie sich eindeutig übernommen; sie schwankte auf ihre alte Freundin zu und packte sie fest bei der linken Schulter. »Du bist nicht tot.«
    Dodger schien amüsiert. Sie zog die Oberlippe von den Zähnen. »Nicht ganz, Mädel. Schön, dass du es erwähnst.«
    Sie klopfte Tabea auf den Rücken. Es schien nur zwei Wochen her zu sein, dass sie Tabea gesehen hatte. Die Veränderung war erschreckend.
    »So munter siehst du aber nicht aus«, sagte sie.
    »Ich bin okay«, sagte Tabea reserviert. »Wo ist sie?«
    »Die Geheimnisvolle?« Dodger Gillespie deutete mit dem Daumen auf eine große, weiße Tür.
    »Eingeschlossen«, sagte Xtaska.
    »Alice!«, rief Tabea ungehalten.
    Dodger schob die Mundwinkel abwärts. »Wir haben sie zur Brücke geschickt«, sagte sie. »Hast du sie nicht bekommen?«

    Tabea wollte gehen. »Kommt«, sagte sie.
    »Und was ist mit der Gefangenen?«, fragte Xtaska freundlich.
    Tabea blickte von Xtaska zu Dodger und wieder zu Xtaska. Dodger wirkte wie ein geduldiger Soldat. Xtaska war eine glänzende Puppe, perfekt und unbestechlich.
    »Wie heißt sie?«
    »Angela«, sagte der Cherub, »zumindest behauptet sie das.« In Tabeas Kopf wurde ein kalter, metallischer Ton angeschlagen, als habe der Name eine Rückkopplung bewirkt. Sie blieb wie angewurzelt stehen, ein Standbild der Selbstvergessenheit.
    »Angela also. Und weiter?« »Sie sagt, sie hat keinen Nachnamen«, antwortete der Cherub. »Sie sei eine Einheit der Erweiterten Neurosphäre. Die allererweitertste Einheit überhaupt.«
    »Sie ist ein Stöpselkopf«, sagte Dodger für den Fall, dass Tabea auf der Leitung stand. Tabea sah nämlich gar nicht gut aus.
    In der Nähe des Tisches stand ein Feld-VidFon, das im Kurzschlussverfahren benutzt wurde. Xtaska berührte ein Sensorfeld an ihrer Untertasse, und der Monitor des Geräts hellte auf und zeigte eine hellbraune Frau mit einer Überfülle an dunkelrotem Haar und Schmuck. Sie saß im Schneidersitz auf einer Couch, den Kopf leicht schräg gelegt.
    »Angela ist bestimmt nicht ihr richtiger Name«, sagte Dodger, bevor sie die Flamme an ihre Zigarette hielt. »Angela würde ›Bote‹ bedeuten, meint sie.«
    Aber Käpt’n Jute näherte sich bereits in einem Tempo, das ihr niemand zugetraut hätte, der weißen Tür. Xtaska konnte sie gerade noch rechtzeitig entriegeln.

    Dahinter lag ein großzügig proportionierter Raum, der mit einem Teppich ausgelegt und bis in Schulterhöhe mit einem Material vertäfelt war, das wie polierter Schiefer glänzte. Es hätte ein Schlaf- oder Arbeitszimmer sein können. Das einzige Möbelstück war eine riesige Couch, die man so herumgedreht hatte, dass sie mit dem Rücken zur Tür stand. Der wüste Haarschopf lugte über die Rückenlehne.
    Tabea umrundete die Couch.
    Die Geheimnisvolle trug einen Pyjama mit einem farbenfrohen palernischen Muster, große Blattformen in Orange und Grün und Terrakotta. Sie meditierte. Aus jeder Schläfenbuchse hing ein fadendünnes Kabel, beide endeten in einem der vielen Anhänger, einer schlichten Biofeedback-Einheit. Ihre Zehen- und Fingernägel waren in verschiedenen Stahlblau- und Perlweißtönen lackiert, Farben, die überhaupt nicht zum Pyjama passten.
    »Angie?«, fragte Tabea.
    Die Frau sah unerschrocken und ruhig auf.
    »Hallo, T-Tabby«, sagte sie.
     
    Im vorderen Raum hatte Käpt’n Gillespie die Begrüßung gehört. Niemand, niemand auf allen Planeten und in all den Jahren ihrer Freundschaft - niemand hatte je »Tabby« zu ihr sagen dürfen. Niemand, bis auf diese Räuberin, diese Diebin, diese Saboteurin. Und anstatt aus der Haut zu
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