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Sonne über Wahi-Koura

Sonne über Wahi-Koura

Titel: Sonne über Wahi-Koura
Autoren: Anne Laureen
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Wölfe. Helena erschauderte. Das ist der richtige Ort, um mich zu vergessen, fuhr ihr durch den Kopf. Der Gang, in dem sie ihr Zimmer vermutete, wurde von der Abendsonne erhellt, das durch zwei große Fenster fiel. Obwohl Helena die Sauberkeit bemerkte, wollte ihre Beklommenheit nicht weichen.
    Vor einer einfachen braunen Flügeltür machten sie Halt. Didier ließ ihr beim Eintreten den Vortritt. Der spärlich möblierte Raum war zwar hell, wirkte aber durch den weißen Anstrich nahezu steril. Wie in einem Sanatorium, dachte Helena und bat den Kutscher, die Tasche neben dem einfachen Messingbett abzustellen. Ebenso wie der Schrank und die Kommode wirkte es seltsam deplatziert, so als hätte das Zimmer eigentlich eine andere Bestimmung gehabt.
    »Ich werde die Köchin bitten, Ihnen etwas zu essen zu schicken«, verkündete Didier. »Sie müssen umkommen vor Hunger.«
    Das war zwar nicht der Fall, aber Helena dankte ihm trotzdem.
    »Wenn ich sonst noch irgendwas für Sie tun kann, sagen Sie es mir bitte«, setzte er hinzu. »Ich bin nicht nur der Kutscher von Madame, sondern auch das Mädchen für alles, wie es die Europäer nennen.«
    Helena lächelte. »Sie sind ein Maori, nicht wahr?«
    »Ja, das bin ich.« Didier reckte sich stolz.
    »Und wie sind Sie zu Ihrem Namen gekommen? Didier ist doch gewiss nicht typisch für Ihr Volk.«
    »Madame hat ihn mir gegeben. Sie hat mich nach dem Tod meiner Mutter aufgenommen.«
    »Und wie lautet der Name, den Ihre Mutter Ihnen gegeben hat?«
    »Darüber möchte ich nicht sprechen.«
    Helena räusperte sich verlegen. »Oh, entschuldigen Sie. Ich wollte nicht indiskret sein. Haben Sie nochmals vielen Dank!«
    Didier verharrte an der Tür und trat verlegen auf der Stelle.
    »Gibt es noch etwas?«, fragte Helena, während sie sich auf der Bettkante niederließ. Was für eine Wohltat für Füße und Rücken!
    »Bitte verzeihen Sie mir, es steht mir eigentlich nicht zu.« Didier senkte beschämt den Kopf. »Aber ich habe vorhin mitbekommen, was Madame zu Ihnen gesagt hat. Glauben Sie mir, sie meint es nicht böse. Sie und ihr Sohn haben sich im Streit getrennt. Dass er fortgegangen ist, hat ihr das Herz gebrochen.«
    Und jetzt hat sie die Möglichkeit, ihren Zorn an mir auszulassen. Aber das werde ich nicht hinnehmen. Noch einmal werde ich keine Schwäche zeigen, schwor Helena sich.
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen.« Seine Worte waren nur ein schwacher Trost, aber er meinte es gut mit ihr. »Gute Nacht, Didier.«
    Als der Kutscher fort war, wandte Helena sich ihrer Tasche zu und zog zwischen den Kleidungsstücken ein goldenes Medaillon hervor. Da ein Passagier behauptet hatte, dass es im Hafen von Napier von Dieben nur so wimmele, hatte sie ausnahmsweise darauf verzichtet, es um den Hals zu tragen. Alles durfte sie verlieren, nur nicht das!
    Wehmütig lächelnd öffnete sie das Schmuckstück und betrachtete das Foto darin, das Laurent in seinem Fliegeranzug zeigte.
    Ach, Liebster, wärst du jetzt nur bei mir!
    Sie küsste das Porträt zärtlich und legte sich die Kette um.

2

    Helles Morgenlicht weckte Helena. Blinzelnd öffnete sie die Augen. Das Messinggestell ihres Bettes quietschte leise, als sie sich zur Seite drehte, um aus dem Fenster zu sehen. Was für ein wunderbarer Morgen nach dieser unruhigen Nacht!
    Obwohl sie todmüde gewesen war, hatte sie lange nicht einschlafen können. Ungewohnte Geräusche hatten sie immer wieder aufgeschreckt. Doch nun weckte Kaffeeduft ihre Lebensgeister. Der Ärger über den eisigen Empfang durch ihre Schwiegermutter war beinahe vergessen. Vielleicht war ich nur überspannt von der Reise und habe mir alles zu sehr zu Herzen genommen, überlegte sie.
    Helena erhob sich, warf ihren Morgenmantel über und trat ans Fenster. Die Aussicht auf die Weinstöcke war grandios. Über dem Weinberg spannte sich ein wolkenloser blauer Sommerhimmel.
    In Deutschland schneit es jetzt sicher, dachte sie mit einem Anflug von Heimweh, der aber sofort verging, als sie sich vor Augen hielt, dass sie hier erneut ihrer Leidenschaft, dem Weinbau, nachgehen könnte. Vielleicht wird mir die Arbeit helfen, meine Trauer zu überwinden und Louise davon zu überzeugen, dass Laurent die richtige Wahl getroffen hatte. Helena erwartete nicht, dass sie Freundinnen würden, aber vielleicht würden sie irgendwann miteinander auskommen.
    Nachdem sie liebevoll über ihren runden Leib gestrichen und ihrem Kind einen zärtlichen Gedanken geschickt hatte, zog sie sich zurück und
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