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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
Autoren: Walter Kempowski
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Staaten zusammenzufügen sei ein gesunder Ansatz. Aber wenn die Kolonialgebiete dazukommen, dann geht es schief.
    Botschafter: Der Staat existiere immer noch (!).
    «Er existiert immer noch», das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Aber wie! möchte man rufen.
    Gorbatschow glaube noch an die Sowjetmenschen (Scholl-Latour), er habe das Nationalitätenproblem nicht erkannt.
    Die Idee der Union sei verhaßt bei der Bevölkerung.
    Gorbatschow habe in den vergangenen sechs Jahren nichts getan, sei also noch im sozialistischen Denken.
    Scholl-Latour:«Wir stehen vor Krisen, die wir noch gar nicht absehen können.»
    Baker: Da entwickelt sich was wie Jugoslawien mit Kernkraft.
    Juhnke: Berlin/Bonn-Entscheidung sei eine Mogelpackung.
    Das gewaltigste Gesellschaftsexperiment ist zugrunde gegangen, unrühmlich (Bednarz).
    Es müßte heißen: das gewaltsamste …
    Wie ein angeschossener Walfisch.
     
    Es ist schon erbärmlich, wie Honecker sich jetzt zu retten sucht. Wovon der wohl lebt, woher kriegt er Geld? Mal heißt es, er sei ein kranker Mann, dann sieht man ihn an der Moskwa gesund und frisch. Von Soldaten wird er eskortiert.
     
    Die Untersuchung, das wollen wir nicht vergessen, hat wahrscheinlich erwiesen, daß ich (noch) keinen Magenkrebs habe. Das könnte bedeuten, daß ich noch zehn Jahre zu leben habe?
     
    2007: Der Arzt hat damals übersehen, daß ich zu wenig rote Blutkörperchen hatte.
    M/B, erstes Exemplar. Weiß noch, wie Bernt Richter 12 mir damals den«Block»brachte, er legte ihn auf den Flügel, ein paar Tage nach Mutters Tod. Er schenkte mir außerdem ¼ Jagdwurst mit Knoblauch und eine Karte von Südamerika, auf der Antofagasta rot unterstrichen war, weil das in dem Buch erwähnt wird.«Die Geburt eines Autors»wurde das später genannt.
     
    Ich sah mir mein pulsierendes Inneres mit Wohlgefallen an. Die Galle lugte um die Ecke. Meine süße kleine Galle!
     
    Eine Museumsangestellte:
    Niemals wieder DDR! Ich fühle mich wie ein Tier, das aus einem Versuchslabor freigesetzt wurde. Ich kann hingehen, wohin ich will, kann die Bücher lesen, die ich lesen will, und vieles andere. Manchmal habe ich auch Angst vor soviel Freiheit. Richtig damit umzugehen lerne ich bestimmt nicht mehr. Ich bin auch«made in GDR», Jahrgang 1955.

Nartum Fr 13. Dezember 1991
     
    1948: Zentralrat der FDJ beschließt die Gründung
des Verbandes der Jungen Pioniere – Pioniergeburtstag
I968 Pionierorganisation«Ernst Thälmann»
erhält den Vaterländischen Verdienstorden in Gold
    Langweilige Barockmusik.
    Ein Radiovortrag über Schönbergs Malereien. Schwieriges Unterfangen, über Bilder zu sprechen, die man nicht sieht. Diesen Fehler findet man in allen Zeitungen. Als ob wir blind wären! Es werden Gemälde beschrieben, ganze Filme, Theaterstücke.Die Redakteure müßten doch allmählich mitkriegen, daß sich so was nicht überträgt. Sie wollen den Abdruck von Bildern sparen und liefern uns statt dessen blinde Flecken mit Wortgedusel, mehr oder minder intelligent.
     
    Heute früh waren es auf dem Max.-Thermometer – 5°. Man hofft immer, daß es in der Nacht recht kalt gewesen ist.«Die Vögel fielen wie Steine vom Himmel.»
    Über Australien sei das Ozonloch am größten, da kriegen die Menschen Hautkrebs. Merkwürdig, daß die Politiker nichts unternehmen. Wir haben nicht vergessen: die Wetterberichte, damals, in denen die radioaktiven Wolken der Ukraine angezeigt wurden. So stellen sie sich auf alles ein.
     
    Wutanfälle am Abend wegen Hunger, dann bei Dörflers zum Abendessen. Nun, immer noch wütend, zurücksinkend in Augenblicke des Glücks.
     
    Der erste Aids-Kranke hier in der Gemeinde, durch Blutspenden ist es passiert.
    Die Fachwerkleidenschaft des Arztes ist sehr interessant, was er alles zu erzählen weiß. Daß es Giebel an Bauernhäusern erst seit dem 17. Jahrhundert gibt. Und wenn die Ernte eingebracht ist, dann biegen sich Balken durch. Nur Eiche. Bäume, nicht weiter als 10 km im Umkreis konnten sie die bewegen.
    Flett erst seit 1780, vom Lehrer gelegt mit Kindern. Lehm mußten die Kinder stampfen. – Katze mit Sender am Halsband, daß nur sie raus und rein durch Klappe.
    Chirurg Dölle, den wir bei Dörfler trafen: daß sich jede Blutung von selber stillt. Gefäße krümmen sich nach innen, Blut pfropft.
    Es gab Tafelspitz der allerfeinsten Sorte.
    Der Chirurg verstand nicht, wieso man um die gewilderten Elefanten so ein Theater macht. Eigentlich hat er ja recht. Aber diese Tiere stehen einem
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