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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck
Autoren: Christa Wolf
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Bauarbeitern und ihren Frauen um einen Tisch und besprachen das nächtliche Fußballspiel zwischen Jugoslawien und der Bundesrepublik. Die Männer erörterten noch einmal anerkennend die Taktik des Mannschaftstrainers, jeden Coup, jede Wendung hatten sie sachkundig genossen. Frau Mackowiak beschwerte sich, wie unmäßig sie in der ersten Spielhälfte geraucht und getrunken hätten, als es für die Bundesdeutschen nicht gut aussah. Sie gehe ja sowieso immer ins Bett, aber wer solle schlafen können bei dem Lärm da unten und bei dem Kühlschrankgeklapper.Zur Versöhnung spendierte Paul Mackowiak seiner Frau eine Tafel Schokolade. Abwechselnd, nach einer streng eingehaltenen Ordnung, holten die Männer eine Lage Bier, eine Lage Klaren, die sie mit angeekelten Mienen sofort hinunterschütteten. Paul Mackowiak rückte an Clemens heran, endlich wollte er seine Männergeschichten loswerden, aber da die Musik so laut war, mußte er schreien, und alle hörten mit. Fast alle Geschichten von Paul Mackowiak spielten in der Zeit nach dem Krieg, als er ein junger Mann war und an den Wochenenden über die Dörfer ging, wo ein aufregendes, ungebundenes Leben und Treiben herrschte. Unter unbeherrschbaren Lachanfällen erzählte er Clemens, wie er damals von einem, der »stöbern« gehen wollte, ein paar Schuhsohlen gegen einen Überzieher eingetauscht hatte, den er aus einem Wehrmachtsrock hatte machen lassen. Das war nun die ganze Männergeschichte, und Clemens wußte nicht recht, was für ein Gesicht er dazu machen sollte, während Irene in ein nervöses Lachen ausbrach. Ellen wendete sich schnell zur Tanzfläche. Der richtige Erwachsenentanz hatte noch nicht angefangen, aber die Musik spielte schon, und Kinder, die sich an den Händen faßten, tanzten ernsthaft miteinander. Ellen mußte immer auf Littelmary sehen, die, mit dem Rücken zu ihr, dicht neben Luisa an der Tanzfläche stand und sich danach verzehrte, mitzumachen. Jetzt nahm Littelmary Luisas Hand, gemeinsam taten sie den Schritt auf die Tanzfläche, stellten sich gewissenhaft auf, einander gegenüber, reichten sich die Hände, lauschten, die Köpfe auf genau die gleiche Weise geneigt, fingen an, in den Hüften zu schwingen, versuchsweise mit den Füßen zu stampfen, erfaßten denRhythmus, nahmen ihn auf und legten los. Wo sies nur lernen! sagte Jenny, die von draußen kam, eine riesige bonbonfarbene Papierblume im Ausschnitt, die irgendein Fremder für sie geschossen hatte. War er denn hübsch? fragte Irene. Sie fing an, »Hübsche« unter den jungen Leuten zu suchen, fand kaum welche. Kein Wunder, daß alle Blicke sich an Luisa festsaugten. Der Kapellmeister war ein dicker Mann, der ein weißes Hemd und eine blaue Tuchweste trug und mit einem winzigen Stöckchen dirigierte. Er spielte alles, von »Adelheid, Adelheid, schenk mir einen Gartenzwerg« bis zu »Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederham«, aber auf ein Zeichen vom Zelteingang her brach er abrupt ab, ließ eilig die Tanzfläche räumen, und unter dem rhythmischen Klatschen der Zuschauer marschierten vierzehn schmucke Jäger der Jagdgemeinschaft ins Zelt, in grünen Uniformen, mit Jägerhüten, die Jagdhörner gegen den rechten Oberschenkel gestützt. Alle fühlten wir: Dies wurde ein Höhepunkt des Festes. Wer von uns hatte je alle Jagdsignale, die es gibt, auf Waldhörnern hintereinander blasen hören, von »Das Ganze und Treiber vor!« über »Die Sau ist tot!« bis zum Halali. Wir waren begeistert und klatschten laut und beobachteten die Männer in Förstertracht, wie sie sich sofort an einem Tisch niederließen und stark zu trinken anfingen, und auch wir fanden es in der Ordnung, daß der Leiter der Jagdgemeinschaft die Bürgermeisterin aufforderte und mit ihr den Tanz eröffnete. Redlich steuerten wir unser Scherflein zu den deftigen Kommentaren bei, die rings an den Tischen geliefert wurden, aber es blieb das Gefühl, eigentlich nicht dazu berechtigt zu sein, auch nicht berechtigt, in das Kichernder anderen über die beiden alten Frauen einzustimmen, die keinen Tanz ausließen: die eine dick und selbstbewußt, die andere abgezehrt, gekrümmt und schüchtern, beide grauhaarig, die eine mit krausen Locken, die andere mit einem winzigen Dutt, und beider Körper abgearbeitet und deformiert. Hier eine versteckte Kamera! sagte Irene. Was die filmen könnte! und Ellen erwiderte etwas zu heftig: Gar nichts! Die Hauptsachen kriegte sie nicht mit.
    Was fände, nur als Beispiel, dachte Ellen, eine
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