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Sommermond

Titel: Sommermond
Autoren: M. Hart
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nieder. Sie griff nach seiner Hand und strich in einer mütterlichen Art und Weise über den Unterarm.
    „Wie geht’s dir, mein Schatz?“
    Ben sah ein letztes Mal in Nicks Richtung, bevor er sich endgültig seiner Mutter widmete.
    „Es geht. Wenn ich mich nicht bewege, ist alles in Ordnung“, erwiderte er und versuchte ein aufmunterndes Lächeln.
    Seine Mutter fischte derzeit ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und wischte sich damit über die Augen.
    „Was ist denn genau mit mir?“, fragte Ben, der immer noch nicht wusste, wie es um ihn stand.
    Seine Mutter öffnete daraufhin den Mund und holte zu einer Erklärung aus, doch im selben Moment öffnete sich die Tür ein weiteres Mal. Sein Vater kehrte zurück, im Schlepptau ein Arzt.
    „Hallo, Herr Richter! Es freut uns, dass es Ihnen besser geht“, begrüßte dieser Ben und reichte ihm die Hand. „Bendfeldt mein Name. Ich bin leitender Arzt in der Unfallchirurgie.“
    Ben nahm die Hand entgegen. Sie war kalt und feucht und schien vor dem Betreten seines Zimmers frisch desinfiziert worden zu sein. Der Arzt war etwa Mitte Vierzig und hatte dichtes, schwarzes Haar. Das ließ ihn jünger aussehen. Dennoch war anhand vieler unauffälligen Falten zu erkennen, dass er schon einige Jahre harte Arbeit hinter sich gelassen hatte.
    Der Arzt wandte sich an Nick. „Ich muss Sie leider bitten, vor der Tür zu warten.“
    „Nein“, warf Ben schnell ein. „Das ist schon okay.“
    Er wusste selbst nicht, warum er sich dafür entschieden hatte, Nick an dem Gespräch teilhaben zu lassen. Vermutlich fühlte er sich verpflichtet dazu.
    „Sie hatten wirklich Glück im Unglück“, fuhr Dr. Bendfeldt fort. „Gestern Abend haben wir mit allen Mitteln um Sie gekämpft.“
    Ben versuchte ein höfliches Lächeln, aber es gelang ihm nur andeutungsweise. Gespannt wartete er darauf, dass der Arzt fortfuhr. Nick stand derweilen neben dem Fenster und beobachtete ihn. Bens Vater hielt seine Frau in den Armen. Sie schien noch immer mit aufsteigenden Tränen zu kämpfen.
    „Ihre Schussverletzung war ein sogenannter Steckschuss“, erklärte Dr. Bendfeldt. „Das heißt, dass das Projektil im Körper verblieben ist. In der Not-OP heute Nacht mussten wir also erst einmal das Projektil entfernen.“
    Ben schluckte. Die Vorstellung an die besagte OP glich einem schlechten Traum.
    „Bei dem Einschuss wurde neben Ihren Rippen auch Ihre Lunge verletzt. So stark, dass es zu einem Spannungspneumothorax und einem Hämatothorax gekommen ist.“
    „Und das heißt auf Deutsch?“, hakte Ben nach.
    „Durch die Verletzung konnte Luft von außen in ihren Brustkorb eindringen, aber nicht wieder nach draußen gelangen. Der Druck im Inneren steigt dadurch an und das führt zur Komprimierung der Lunge und der Hohlvene. Das ist lebensgefährlich.“ Der Arzt pausierte einen Moment lang und warf Bens Eltern einen festen Blick zu. „Bereits am Unfallort haben Sie einen Kreislaufschock erlitten.“ Er pausierte erneut, mehr rhetorisch, als unbedingt notwendig. „Durch die Rippenfraktur ist es zusätzlich zu inneren Blutungen gekommen. Wir mussten also schnell handeln. Die Kollegen vom Rettungsdienst haben die Pleurahöhle … das ist der Spaltraum in der Brusthöhle, in dem sich die Luft und das Blut angesammelt hat … bereits im Krankenwagen geöffnet, um schnellstmöglich einen Druckausgleich herzustellen. Hier vor Ort haben wir dann per Sofortmaßnahmen weitergemacht. Wir haben einen kleinen Schnitt im Rippenzwischenraum durchgeführt und Ihnen eine Drainage gelegt. Das ist der Schlauch dort“, erklärte er und deutete auf den besagten Gegenstand, der unter Bens Bettdecke hervorlugte. „Damit entfernen wir das Blut und die Luft aus der Pleurahöhle und versuchen den physiologischen Unterdruck wiederherzustellen. Über Nacht haben wir Sie noch auf der Intensivstation beobachtet, aber da Ihr Verlauf bestens ist, wurden Sie bereits heute früh verlegt. Wir müssen heute noch ein paar Röntgenaufnahmen durchführen und werden dann versuchen, die Drainage für etwa eine halbe Stunde abzuklemmen. Wenn alles gut verläuft und die Lunge gut ausgedehnt ist, lassen wir die Drainage für sechs weitere Stunden abgeklemmt. Ist dann immer noch alles gut, wird die Drainage gezogen und Sie bleiben nur noch zur Beobachtung hier.“
    „Okay …“, erwiderte Ben und verzog kritisch den Blick. „Das klingt total kompliziert. Und ehrlich gesagt … ich hab‘ fast immer noch nichts verstanden.“
    Der Arzt lachte
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