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Sommerliches Schloßgewitter

Sommerliches Schloßgewitter

Titel: Sommerliches Schloßgewitter
Autoren: P. G. Wodehouse
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war noch immer eine bemerkenswert hübsche Frau mit energischen Zügen und wundervollen Augen. Diese Augen waren aber im Augenblick glanzlos und sorgenvoll.
    »Ich habe den Zug verpaßt«, sagte sie. »Aber was ich in London wollte, kann ich auch morgen erledigen. Ich fahre mit dem Elf-Uhr-fünfzehn. Das ist sogar bequemer, da Ronald mich zurück im Auto mitnehmen kann. Ich treffe ihn in der Norfolk Street, kurz bevor er losfährt.«
    »Wieso hast du denn den Zug verpaßt?«
    »Ja«, sagte Lord Emsworth vorwurfsvoll. »Du bist doch rechtzeitig losgegangen.«
    Der Ausdruck in den Augen seiner Schwester wurde noch sorgenvoller.
    »Ich habe Sir Gregory Parsloe getroffen.« Lord Emsworth erstarrte bei diesem Namen. »Er redete auf mich ein. Er macht sich große Sorgen.« Lord Emsworth sah zufrieden aus. »Er sagt, er war vor Jahren viel mit Galahad zusammen, und er macht sich jetzt Gedanken wegen dieses Buchs.«
    »Da ist er bestimmt nicht der einzige«, murmelte Millicent.
    Und sie hatte recht. Wenn ein Mann mit dem Vorleben des Ehrenwerten Galahad Threepwood zur Feder greift und anfängt, sich an amüsante Dinge zu erinnern, dann weiß man nie, wie weit er gehen wird; und in ganz England herrschte unter den älteren Herren des Stadt- und Landadels eine Art Panikstimmung, seit bekannt geworden war, daß er sich literarisch betätigte. Von Sir Gregory Parsloe-Parsloe in Matchingham Hall bis hin zu den grauhaarigen Stützen der Gesellschaft im fernen Cumberland und Kent erinnerten sich plötzlich ganze Scharen von ehrbaren Männern, die in ihrer Jugend unvorsichtig genug gewesen waren, mit dem Ehrenwerten Galahad dick befreundet zu sein, welche Torheiten sie einmal in seiner Gesellschaft begangen hatten, und sie stellten sorgenvolle Spekulationen darüber an, wie gut das Gedächtnis dieses alten Stinkers wohl sein mochte.
    Zu seiner Zeit war Galahad nämlich ein stadtbekannter Schwerenöter gewesen. Stammgast bei Romano. Mitglied mehrerer Clubs. Busenfreund von Hughie Drummond und Fatty Coleman; Blutsbruder einiger sehr interessanter, aber nicht gerade sittenstrenger Leute. Buchmacher hatten ihn bei seinem Spitznamen gerufen, Bardamen mit ihm geschäkert. Das Londoner Nachtleben hatte er in- und auswendig gekannt, und wenn er im alten Gardenia-Club hineinschaute, prügelten sich die Portiers um die Ehre, ihn hinausschmeißen zu dürfen. Kurzum, er war ein Mann, dem man niemals das Schreiben hätte beibringen dürfen und der, da er nun einmal diese unselige Gabe besaß, kraft Gesetzes daran hätte gehindert werden müssen, seine Memoiren zu schreiben.
    So dachte Lady Constance, seine Schwester. So dachte Sir Gregory Parsloe-Parsloe, sein Nachbar. Und so dachten die Stützen der Gesellschaft im fernen Cumberland und Kent. So sehr ihre Meinungen auch sonst auseinandergingen, in diesem Punkt waren sie sich alle einig.
    »Er bat mich nachzuforschen, ob Gally auch etwas über ihn schreibt.«
    »Am besten frägst du ihn gleich selbst«, sagte Millicent. »Er verläßt gerade das Haus und scheint hierher zu kommen.«
    Mit einem Ruck drehte Lady Constance sich um und zuckte zusammen, als sie dem ausgestreckten Finger ihrer Nichte folgte. Der bloße Anblick ihres mißratenen Bruders genügte, um sie zusammenzucken zu lassen. Wenn er redete und sie zuhören mußte, wurde aus dem Zucken ein Schaudern. Sie reagierte auf seine Konversation so, als hätte sie auf etwas Saures gebissen.
    »Ich muß immer lachen«, sagte Millicent, »wenn ich denke, daß man Onkel Galahad auf den Namen eines tugendhaften Gralsritters getauft hat.«
    Sie betrachtete den herannahenden Verwandten mit jener Zuneigung, ja Bewunderung, welche junge Frauen, auch wenn sie Madonnengesichter haben, älteren Herren in reichem Maße zuteil werden lassen, sofern diese eine stürmische Vergangenheit hinter sich haben.
    »Sieht er nicht glänzend aus?« sagte sie. »Es ist doch enorm, daß jemand, der so flott gelebt hat wie er, bei so erstaunlich guter Gesundheit ist. Überall sieht man Männer, die ein mustergültiges Leben geführt haben, in der Blüte ihrer Jahre das Zeitliche segnen, und der gute alte Onkel Gally, der anscheinend nie ins Bett ging, bevor er fünfzig war, kurvt noch so fit und rosig herum wie eh und je.«
    »In unserer Familie haben alle eine eiserne Gesundheit«, sagte Lord Emsworth.
    »Die wird Onkel Gally auch sehr nötig gehabt haben«, entgegnete Millicent.
    Der Schriftsteller war schnellen Schrittes über den Rasen gekommen und gesellte sich
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