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Sommerfest

Sommerfest

Titel: Sommerfest
Autoren: Frank Goosen
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Sense, Aus, Finito. Das Haus wird nicht viel bringen. Vielleicht gerade genug, dass sich Stefan keine Gedanken machen muss, selbst wenn das mit dem Vorsprechen am Montag nicht klappen sollte.
    Stefan wollte von Onkel Hermann keine Miete haben, aber das ließ der Onkel – der eigentlich kein richtiger Onkel war, sondern nur ein »Nenn-Onkel« – nicht zu, also zahlte Onkel Hermann ein bisschen was und sorgte dafür, dass das Haus in Schuss blieb. Kleinere Reparaturen erledigte er bis zuletzt selbst, für den Rest hatte er einen Haufen Bekannte. Und wieder bleibt Stefan bei dem Gedanken hängen, dass diese Welt hier aus Handwerkern besteht, eine Welt, in der jeder jeden schon ewig kennt, nein, sogar länger als ewig, ein Leben lang nämlich, und man kann es glauben oder nicht, aber Onkel Hermann ist mit dem Schraubenzieher in der Hand gestorben, einfach umgefallen, auf dem Weg vom Werkzeugkasten in der kleinen Kammer in der Küche, irgendwohin, wo was wackelte. Ein schöner Tod, der beste, den man sich vorstellen kann, kein langes Dahinsiechen, sondern schnell und schmerzlos, in dem Gefühl, noch fix etwas Sinnvolles zu tun, etwas zu arbeiten, nicht so ein beschissener Tod, wie er Stefans Eltern ereilt hat, ein sadistischer, heimtückischer, folternder Tod, eine Drecksau.
    Eigentlich ist Onkel Hermann gar nicht so dicke mit Stefans Vater und Großvater gewesen, sondern mehr mit Wolfgang Mehls, praktisch unzertrennlich waren die beiden. Dessen Schwester Paula war nicht nur Charlies Großmutter, sondern auch die beste Freundin von Omma Luise, obwohl sie beide hinter dem gleichen Mann her waren, Willy Abromeit, dem Masurischen Hammer, bisweilen Preisboxer auf der Kirmes, ansonsten aber, obwohl einsneunzig, im Pütt, bevor er dann Wirt wurde. Bessere Schangsen bei Willy Abromeit hat Omma Luise gehabt, aber die war schon verlobt mit Fritz Borchardt, später Stefans Großvater mütterlicherseits. Und dann wurde Omma Luise ’44 von Oppa Fritz schwanger und im Januar ’45 wurde geheiratet, und zwar im Sauerland, wo man bei Verwandten Unterschlupf gefunden hatte, nachdem man dann doch mal komplett ausgebombt worden war. Nach der Heirat ging natürlich nichts mehr zwischen Omma Luise und Willy Abromeit, denn Oppa Fritz verschwand zwar für einige Zeit in amerikanischer Gefangenschaft, tauchte aber ’48 wieder auf, und das war nicht die Zeit, in der man als Frau sagte, ich will einen anderen, also hangelte man sich durch siebenundvierzig Jahre Ehe und fuhr zwischendurch in die Berge oder an die See, aber nicht zu weit weg, weil man zu weit weg dem Essen nicht trauen konnte.
    So hängt alles irgendwie zusammen, denkt Stefan, man könnte glatt zum Buddhisten werden. Viel zu lange steht er jetzt schon im Flur und horcht. Denkt sich auch das Haus und lässt es irgendwo knacken, also betritt Stefan das seitzirka 1973 gelb gekachelte Bad und klemmt seinen Kulturbeutel hinter den Wasserhahn. Eine Dusche gibt es hier immer noch nicht. Ebenso wenig ein Fenster. Wie man das früher hat bauen können, wird ihm immer ein Rätsel bleiben, Badezimmer ohne Fenster, nur mit einem Gitter in der Wand über dem Klo, knapp unter der Decke, ein Gitter, in dem sich dicke Staubflocken sammeln. Über dem Waschbecken ein Spiegelschrank von Alibert, neben dem Wasserhahn eine Seifenschale mit einem Stück Industrieseife, die Onkel Hermann vor Jahren zentnerweise im Keller eingelagert hat. Immerhin gönnte er sich irgendwann normales Klopapier, wenn auch nur zweilagig, aber wenigstens nicht mehr dieses graue, harte Zeug, mit dem man sich früher immer den Arsch aufgerissen hat.
    Stefan steigt in die Wanne und geht in die Hocke. Er nimmt die Handbrause, dreht das warme Wasser auf, mischt es mit kaltem und duscht sich, so gut es geht, ohne das ganze Bad unter Wasser zu setzen. Er benutzt die Seife für den Körper und das ockerfarbene Schampong für die Haare. Ja, er denkt Scham pong. Wie Pafföng und Grateng und Restorang.
    Als er zurück in sein Zimmer kommt, vibriert sein Handy. Er kann sich denken, wer das ist, und zieht sich erst mal in aller Ruhe an. Dann sucht er seine Uhr. Ohne Uhr ist er aufgeschmissen. Er hat kein Zeitgefühl. Hell und dunkel, Tag und Nacht, das kann er auseinanderhalten, aber damit hat es sich auch schon. Er ist kein Pfadfinder, der am Stand der Sonne die Zeit auf fünf Sekunden genau eingrenzen kann, und weiß auch nicht, auf welcher Seite des Baumes das Moos wächst und wie einem das helfen kann, wenn man sich verlaufen hat.
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