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Sommerfest

Sommerfest

Titel: Sommerfest
Autoren: Frank Goosen
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zumuten wollte.
    Der Makler konnte erst am späten Nachmittag und meinte, Stefan könne froh sein, am Wochenende überhaupt einen Termin zu bekommen, und der Ton, den der Typ am Telefon anschlug, machte Stefan mal wieder klar, dass er mit solchen Leuten eigentlich nichts zu tun haben wollte. Das hier ist kein Renommierprojekt, nur ein altes Bergarbeiter-Reihenhaus.
    Bestimmt eine halbe Stunde hat er am letzten Dienstagmit Omma Luise telefoniert, die anrief, weil Onkel Hermann gestorben war. Eine halbe Stunde, in der ihm klar wurde, wie er sie vermisste. Sein schlechtes Gewissen fraß sich durch ihn hindurch wie ein Parasit. Wieder einer tot, sagte sie, bald bin ich dran. Nein, nein, Omma Luise, du lebst ewig, keiner kriegt dich kaputt, nicht mal der Sensenmann, aber sie lachte nur und sagte, er sei eben zu jung für so was, er habe noch so viel Zeit und müsse sich diese Gedanken nicht machen.
    Und dann ist sie ins Erzählen gekommen. Nur ein paar Monate zuvor ist der Erich Grothemann unter die Erde gekommen, der alte Kommunist, der noch mit Omma Luises Vater, Otto Horstkämper, im Männergesangsverein gewesen war, jenem Verein, der sich im Hinterzimmer von Haus Rabe traf, der Kneipe, die Charlies Großvater Willy Abromeit, auch bekannt als Der Masurische Hammer , Anfang der Sechziger von Willi Jebollek übernommen hatte, dem verschwiegenen Wirt mit dem gebrochenen Herzen, und als Stefan all diese Namen gehört und gedacht hat, Horstkämper nämlich und Abromeit und Jebollek und Hermann Ellbringe und Wolfgang Mehls und Rosi Rabe und noch einige mehr, da wehte ihn so was an.
    Auch an die Kneipe hat er sich erinnert, als er mit Omma Luise telefonierte. Nicht geringe Teile seiner Kindheit hat er dort verbracht, ist mit Charlie unter den Tischen herumgekrochen, hat später mit ihr hinterm Tresen ausgeholfen, hat den Männern zugehört, wie sie über Gott und die Welt und die Frauen und den Fußball herzogen. Er hat auch gesehen, wie sie sich geprügelt haben, hat gesehen, wie sein Onkel Joachim kräftig ausgeteilt und dabei gelacht hat. Nur wenn Messer ins Spiel kamen, war es nicht mehr lustig.
    Und dann erzählte Omma Luise auch noch, dass ausgerechnet an diesem Sonntag die Autobahn gesperrt würde, sechzig Kilometer Tische und Aktionen, weil man ja jetzt Kulturhauptstadt war, und da dachte er dann doch, dass er sich das vielleicht nicht entgehen lassen sollte. Mal abgesehen davon, dass es dann nicht so aussah, als wolle er nur möglichst schnell wieder weg und den Leuten aus dem Weg gehen, weil er sich für was Besseres hielt, und man konnte sich ja einiges zuschulden kommen lassen, aber sich für was Besseres halten, das ging nun gar nicht. Also hängte er den Sonntag noch dran und buchte eine Fahrkarte für einen Zug am Abend.
    Im Flur bleibt er kurz stehen und horcht. Nichts. Es ist still. Es war nie still in diesem Haus, denkt er, irgendwo wurde immer gemacht und getan und geklappert und gehämmert und geschraubt, oder es wurde gerülpst, gefurzt, gesungen, gelacht, geweint und geschrien, und wenn die Bewohner mal geschwiegen haben, hat das Haus seine Meinung gesagt und geächzt und geknackt und gestöhnt oder geseufzt, das war nicht immer so gut zu unterscheiden. Jetzt aber ist es still. Es ist so viel vorbei. Sogar das Haus hält die Klappe.
    Das Herz des Hauses ist immer die Küche gewesen. Diese Familie hat immer aus Küchenmenschen bestanden, Menschen, die sich am liebsten in der Küche aufhalten, wenn sie ungestört und unbeobachtet sein wollen. Das Wohnzimmer ist zum Fernsehen und für den Besuch. Alle wichtigen Gespräche mit seinen Eltern haben in der Küche stattgefunden: Standpauken, Todesnachrichten und der Vortrag darüber, wo die kleinen Kinder herkommen, vom Storch nämlich, der einem Nachwuchs bringt, wenn man Zucker auf die Fensterbank legt. Na gut, auch die volle Wahrheit über Mamas Scheide und Pappas Penis ist in derKüche enthüllt worden, obwohl sich das alles völlig unglaubwürdig anhörte, aber da musste man durch, als Kind, das es nicht glauben, und als Vater, der es eigentlich nicht erzählen wollte.
    Als Stefans Eltern Ende der Neunziger im Abstand von zwei Jahren starben, zog Onkel Hermann hier ein, weil seine Wohnung luxussaniert wurde und Stefan es damals nicht über sich brachte, das Haus zu verkaufen, und eigentlich war diese Lösung nur für den Übergang gedacht. Daraus wurden dann doch zehn Jahre, aber jetzt ist Schicht am Schacht, Ende Gelände beziehungsweise der Fahnenstange,
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