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Sommerfest

Sommerfest

Titel: Sommerfest
Autoren: Frank Goosen
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Überhaupt pflegt er ein eher angespanntes Verhältnis zur Natur. Diese ständige An-die-Isar-Rennerei, diese bescheuerten Fahrten in die Alpen wie der letzte Familiendepp, da kann man sich ja gleich irgendein Zeug mit Hirschhornknöpfen zulegen oder einen Hut mit einem Rasierpinsel dran. Außerdem heißt Natur ja immer auch Insekten und Gliedertiere, wie etwa Spinnen, die absolut verzichtbarsten Tiere auf der ganzen Welt. Na gut, die fressen Fliegen, aber mit Fliegen hat Stefan kein Problem. Lieber sechs Fliegen, die um eine Lampe kreisen, als eine Spinne, die hinterhältig in der Ecke hockt. Er hasst diese Biester und damit fertig, ja er hat sogar, wenn er ehrlich ist, Angst vor ihnen, und dagegen helfen auch so rationale Argumente nichts, wie, Spinnen seien nicht nur sehr nützlich, sondern auch extrem harmlos, jedenfalls diejenigen, die in unseren Breiten vorkommen, denn mit Vernunft hat das natürlich nichts zu tun. Es ist schon peinlich wenn einem Kolleginnen und Kollegen, die ansonsten gern die irrationale Emotionskarte spielen, wenn es um schwierige Rollen geht, beim Thema Spinnen plötzlich mit Vernunft kommen.
    Das Telefon vibriert schon wieder, aber jetzt muss er erst mal los und Brötchen besorgen und dann zu Omma Luise, und dann ruft er vielleicht mal in München an. Klar, sagt er sich, man soll so was nicht aufschieben, aber man soll auch gesünder leben und immer ehrlich sein und sich nicht so oft aufregen, aber das haut ja auch alles nicht hin, also geht er runter und tritt auf die Straße.

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    2 Oben steht Trinkhalle dran, aber das nennt eigentlich niemand so, auch Kiosk sagt keiner, das heißt nur Bude, manchmal noch Selterbude, aber das verliert sich auch allmählich. Schon von Weitem sieht Stefan die Langnese-Werbefahne.
    Die Trinkhalle, der Kiosk, die Bude von Tante Änne ist nicht einfach ein Verkaufsschalter, sondern ein Exemplar, in das man sogar hineingehen kann. Tante Änne ist nicht Stefans richtige Tante, sondern mit dem Vornamen »Tante« schon auf die Welt gekommen. Wurde jedenfalls nie anders genannt. Und hatte schon immer diese Bude, wahrscheinlich von Geburt an. Genauso wie ihre alten Hände, die immer etwas schmutzig aussahen, auch wenn sie frisch gewaschen waren, wahrscheinlich weil sie so intensiv benutzt wurden.

    Im weißen Haushaltskittel hat sie hinterm Verkaufsschalter gestanden und ist nie richtig freundlich gewesen, weshalb man sie auch gerne mal ärgerte. Da warf man mal eine Stinkbombe zu ihr hinein oder einen Chinakracher, und sie kam rausgeschossen auf ihren kurzen Beinen unter dem dicken Oberkörper und drohte einem mit der Faust und schimpfte über die scheiß Blagen, dass einem ganz komisch wurde.
    Und ganz komisch wird es Stefan auch jetzt, wo er daran denkt. So geht es einem ja öfter mal mit dem Erinnern. Denn wenn man dann über das Erinnern noch mal ein bisschen nachdenkt, fällt einem auf, dass Tante Änne immer eine ziemlich arme Frau gewesen ist, mit einem Mann, den man niemals Onkel genannt hätte, ja, von dem man nicht mal den Vornamen kannte und der sich, wie so viele hier, langsam, aber sicher ins Grab gesoffen hat, als bester Freund vom prügelnden Decker, was ja auch schon einiges über ihn erzählt. Man hat nie verstanden, wieso Tante Änne trotzdem zusammengebrochen ist, als ihr irgendwie namenloser Mann endlich unter die Erde kam.
    Stefan steigt die zwei Stufen hoch, öffnet die Tür und tritt ein. Ein elektrischer Gong ertönt, und ein Mann erhebt sich. Der hat aber nicht hinterm Tresen gesessen, sondern davor, auf einem weißen Holzstuhl. Links ist eine Glaswand, dahinter mehrere Reihen Schubfächer mit Bonbons drin. Beziehungsweise Klümpchen. Wieder so ein Wort, das schon in Köln keiner mehr versteht. Dann die Verkaufsöffnung und die Fortsetzung der Glaswand mit vergilbenden Zeitschriftencovern dahinter. Rechts an der Wand ein gut bestücktes Zeitschriftenregal: Illustrierte, Rätselhefte, Sportzeitschriften, Nachrichtenmagazine, Comics für Kinder, Popstarzentralorgane für Jungen und Mädchen.

    »Ja, leck mich am Arsch«, ruft der Mann aus, als er Stefan sieht, »der verlorene Sohn ist wieder da!«
    »Hallo, Thorsten«, sagt Stefan ohne viel Begeisterung. Noch vor dem Frühstück Thorsten Starek, genannt Toto, dem Enkel, nein Urenkel von Tante Änne über den Weg zu laufen ist schon ein verdammtes Pech. Toto Starek steht auf und hält ihm die Hand hin. Da ist er wieder, denkt Stefan, der feuchtwarme, immer etwas schlaffe
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