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Sommerfest

Sommerfest

Titel: Sommerfest
Autoren: Frank Goosen
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diese Frau nicht vorstellbar. Als sie ihn zögernd loslässt, sieht er, dass sie Tränen in den Augen hat, und da schießt es auch ihm selber ein. Sie gucken zur Seite wie zwei Männer, die nicht zugeben wollen, dass sie sich mögen.
    »Hast du verpennt?«
    »Ich bin aufgehalten worden.«
    »Und abgenommen hast du.«
    »Ein, zwei Kilo.«
    »Und sonn schwattes Hemd hast du an! Bei dem schönen Wetter!«
    »Ich hab halt einfach irgendwas aus dem Koffer genommen.«
    »Schick machen für die Omma ist auch aus der Mode gekommen, was?«
    »Dafür hast du dich aber extra fein gemacht.« Stefan weiß, dass Omma Luise auf ihr Äußeres großen Wert legt und gerne Komplimente bekommt, diese dann aber demonstrativ herunterspielt.
    So auch jetzt: »Ach, das ist doch nur so eine alte Bluse!«Sie spielt ein wenig mit dem gemusterten Halstuch herum, das sie noch ein wenig schicker, ein wenig »angezogener« wirken lässt.
    »Ich hab die Kaffeemaschine noch nicht angemacht«, sagt sie. »Du bist da ja ein bisschen pingelig.«
    »Ach was, Omma, ist schon okay.«
    »Du hast mir doch schon Vorträge gehalten, dass der Kaffee nichts mehr ist, wenn er soundso lange auf der Platte gestanden hat. Das hab ich mir gemerkt.«
    Omma Luise geht hinüber zu ihrer Einbauküche, die sich übergangslos an das Wohnzimmer anschließt, und schaltet die Kaffeemaschine ein.
    »Ah, lecker Brötchen!«, sagt sie und nimmt ihm die Tüte aus der Hand. »Drei Stück nur? Verdienst du nicht mehr so gut?«
    »Tante Änne hatte nur noch drei.«
    »Ja, ja, die Änne, die geht mit der Zeit. Hat ja jetzt auch so eine moderne Maschine da rumstehen mit Kaffee für so Leute wie dich. Und regt sich immer noch über die Blagen auf, die den ganzen Betrieb aufhalten, weil sie für zwanzig Pfennig Klümpchen wollen.«
    »Der Toto hockte da und hat mich vollgelabert. Wusstest du, dass Tante Änne überfallen worden ist?«
    »Sie sorgt ja dafür, dass es jeder mitkriegt.«
    »Ich würde eher sagen, der Toto sorgt dafür.«
    »Ja, ja, und die Änne wehrt sich mit Händen und Füßen!«
    Omma Luise hat den kleinen Esstisch im Wohnzimmer gedeckt. Den Fernseher, der bisher stumm den Videotext des WDR Fernsehens angezeigt hat, schaltet sie aus. Für Omma Luise ist das natürlich nicht das WDR Fernsehen, sondern immer noch »das Dritte«, aber in der Hinsichtgeht es Stefan nicht anders. Er hat auch in seinem Fernseher in München auf dem dritten Programmplatz nicht SAT 1 oder RTL , sondern natürlich den WDR .
    »Nicht dass du denkst, ich sitze den ganzen Tag vor der Glotze. Ich bin nur gerne informiert.«
    Sie setzen sich. Omma Luise schneidet alle drei Brötchen auf, legt eines auf das alte Holzfrühstücksbrettchen, das Stefan noch aus seiner Kindheit kennt und ihn daran erinnert, dass das Prinzip Frühstücksbrettchen in seiner Familie immer ernst genommen wurde. Die Idee, zum Frühstück schon Teller zu benutzen, hat sich nie durchgesetzt. Die anderen beiden Brötchen legt Omma Luise in einen kleinen Bastkorb, der mit einer Papierserviette ausgeschlagen ist, und macht keine Anstalten, sich selbst ein Brötchen zu nehmen, denn das war auch immer ein Gesetz: Die Omma macht das Essen, isst aber nicht mit, weil es immer so viel nebenher zu tun gibt. Man muss aufspringen und Kaffee holen oder Wasser oder etwas, das noch auf dem Herd steht, und außerdem hat man sowieso keine Ruhe, wenn man bis gerade noch am machen war.
    Stefan schmiert sich das Brötchen mit »guter Butter« und schaufelt Erdbeermarmelade darauf, und zwar mit dem Buttermesser und nicht mit einem Extralöffel, was Anka jetzt schon wieder wahnsinnig machen würde. Butter in der Marmelade kommt auf Ankas Problemrangliste gleich hinter dem fehlenden Weltfrieden. Sie skizziert gerne mal das Horrorszenario von riesigen pelzigen Schimmelkulturen, welche mit der Zeit alles Leben auf der Erde auslöschen werden, weil Stefan mit dem Buttermesser in die Marmelade fährt. Früher, zu Hause, hat man das immer gemacht, und an verschimmelte Marmelade kann Stefan sich nicht erinnern.

    Omma Luise springt auf, weil der Kaffee jetzt durchgelaufen ist, und gießt ihm ein, und zwar in eine von den guten Tassen, aus dem Wildrosen-Service.
    »Hoffentlich«, sagt sie, »war ich schnell genug. Nicht dass der schon ein bisschen angegammelt ist auf der Platte.«
    »Verdammt guter Kaffee«, sagt Stefan nach dem ersten Schluck und zitiert damit Kyle MacLachlan alias Special Agent Dale B. Cooper aus Twin Peaks , aber das kann Omma Luise
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