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Sommerfalle

Sommerfalle

Titel: Sommerfalle
Autoren: Debra Chapoton
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wäre gut gewesen.
    Draußen lief weiterhin der Motor.
    Rebecca zog sich ihren Ring vom Finger und versuchte, ihn in den kleinen Zwischenraum zu stecken. Und was brachte das nun? Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie war nahe dran, alle Hoffnung aufzugeben. Sie wollte den Ring schon zurück an ihren Finger stecken, als ihr die flachen, geschlitzten Schrauben an den Scharnieren auffielen. Sie waren alt und konnten nicht besonders fest sitzen. Ihr Peiniger hatte sicherlich nicht damit gerechnet, dass sie es bis zu dieser Klappe schaffen könnte. Ihr Ring hatte eine schmale, gerade Verzierung, und vielleicht konnte sie … Sie setzte ihn auf die Schraube und drehte mit aller Kraft gegen den Uhrzeigersinn. Es war eine langsame, schweißtreibende Arbeit, aber schließlich löste sich das erste Scharnier. Sie ließ es auf die Matratze fallen, dann machte sie sich an das zweite. Das war leicht, es fiel ab, und die Sperrholzplatte sackte ein paar Zentimeter nach unten. Das Motorengeräusch war jetzt lauter zu hören. Graues, schwaches Licht fiel durch den Spalt. Es musste Morgen sein. Das Licht schmerzte ein wenig in ihren Augen, aber zugleich verschaffte es ihr neue Energie. Rebecca verrenkte sich, um unter der Klappe hindurch nach draußen zu spähen. Sie konnte einen bewölkten Himmel erkennen, eine Bretterwand und, was am wichtigsten war, einen langen Stock, der durch zwei Ringe geschoben über ihr lag, um die Falltür sicher zu verschließen.
    So einfach hatte man es ihr also doch nicht machen wollen.
    Rebecca schob eine Hand durch die Öffnung und versuchte, den Stock zu greifen, aber auch wenn ihr Arm sehr schlank war, reichte sie nicht an ihn heran. Sie sank zurück auf die Matratze und fischte wieder nach dem Henkel des Eimers. Mit dieser Verlängerung schob und zog sie, ruckte und rüttelte an dem Stock herum. Schließlich gelang es ihr, ein Ende davon näher an die Öffnung zu schieben. Nun langte sie mit beiden Händen durch den Spalt. Mit einem Fuß wollte sie sich gegen die Decke stemmen, um mehr Schwung zu bekommen, doch sie hatte ihn kaum angehoben, als unter dem Gewicht ihres Körpers die Holzplatte in zwei Teile zerbrach. Überrascht fiel sie auf die Matratze zurück, und das Krachen des Holzes hallte in ihren Ohren wider. Der Eimer stürzte um, sein Inhalt ergoss sich auf die Matratze.
    Atemlos lag Rebecca da.
    Immer noch lief draußen der Motor des Autos. Keine Tür wurde geöffnet, keine zugeschlagen.
    Rebecca zog den Stock heraus und hob den Rest der Platte aus der Verankerung. Sie konnte jetzt aufrecht stehen und ihre Arme und Schultern durch die Öffnung strecken. Der laufende Wagen musste hinter der vielleicht eineinhalb Meter hohen Holzwand stehen. Vor dieser Wand entdeckte sie Turnschuhe. Geräuschlos kletterte sie aus dem Verlies und nahm sich die Schuhe. Sie zog sie an und stellte dankbar fest, dass sie nahezu perfekt passten. Dann schlich sie an der Wand entlang.
    Nur weg von dem Auto.

    Edward genoss seinen Tagtraum, schloss die Augen und schlief tatsächlich ein. Wegen der geschlossenen Fenster und dem eintönigen Brummen des Motors hörte er nicht das Zersplittern der Klappe, nur wenige Meter entfernt. Er war heute keine sehr wachsame Katze. Er sah nicht, wie die Maus aus ihrem Loch entwischte. Er sah auch nicht, wie sie um die Holzwand herum schlich. Er sah Rebecca nicht, als sie geduckt auf den schützenden Wald zulief. Er träumte. Er schlief. Und während die Katze ein Nickerchen machte, verschaffte sich die Maus einen Vorsprung.

    »Eddie, lass das!«, schrie seine Mutter aus vollem Hals. Sie schlug auf seine Hand, die sie ihm aus dem Mund gerissen hatte. »Nägelkauen ist widerlich.« Sie packte ihn bei den schmalen Schultern und schüttelte ihn heftig. »Ich warne dich, wenn du so weitermachst, wird Daddy nie zurückkommen.«
    Eddie sah zum Küchenfenster hinaus auf die Spielzeuglaster im Garten. Wie gerne würde er zum Spielen nach draußen gehen, aber gestern hatte sie ihm eröffnet, dass er von nun an zu alt dafür sei. Tatsächlich hielt sie ihn für zu groß zum Spielen, aber für zu klein, um die Wahrheit auszuhalten. Er wusste, dass sein Vater tot war. Er war schließlich dabei gewesen.
    Der Sommer war zu Ende, und er würde bald in eine neue Klasse kommen. Als Halbwaise.
    Ohne dass es ihm bewusst gewesen wäre, wanderten die Finger wieder zum Mund, und er kaute weiter.
    Klatsch!
    »Eddie, lass das! Wie oft muss ich dir das noch sagen?« Seine Mutter stemmte die Hände in
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