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Sommerfalle

Sommerfalle

Titel: Sommerfalle
Autoren: Debra Chapoton
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beiden Händen hielt sie sich am Bettpfosten fest und ließ sich daran herab. Immer noch kein Fußboden. Sie hing da wie an einer Turnstange. Als sie anschließend einen nackten Fuß gegen den Pfosten stemmte, gelang ihr mit dem anderen eine Drehung um hundertachtzig Grad. Dabei stieß ihr großer Zeh gegen etwas Hartes, Glattes. Beton. Kein Fenster, nichts. Verzweifelt trat sie gegen die Wand, bis ihre Muskeln schmerzten und ihr gefesseltes Handgelenk erst zu schmerzen, dann zu bluten begann.
    Erschöpft zog sie sich zurück auf die Matratze. Sie versuchte fieberhaft, nachzudenken. Wie war sie hierhergekommen? Das letzte Bild in ihrem Kopf war das von ihr und ihrer Freundin Sarah in der Shoppingmall. Sie hatten ein Eis-Shake getrunken, von dem ihr schlecht geworden war. Sie war den Flur zu den Toiletten hinuntergegangen, als … ja, was? Entführt.
    Auch wenn sie es hatte verdrängen wollen, stand das Wort jetzt unerbittlich deutlich vor ihren Augen. Rebecca war stärker, als ihre zierliche Statur vermuten ließ, körperlich und mental. Sie war üblicherweise eine selbstbewusste junge Frau mit eisernem Willen, die immer alles unter Kontrolle haben und stets im Mittelpunkt stehen wollte.
    Ihr Magen rumorte, und sie bemerkte etwas, das ihr in dieser Lage gar nicht gefiel. Sie musste auf die Toilette. Sie versuchte es zu ignorieren, weigerte sich, die kalte Angst wahrzunehmen, die ihr den Rücken hinaufkroch.
    Sie drehte sich so weit herum, dass ihr Kopf über den Bettrand hinausragte, und übergab sich. Der Frust und die Angst, die Handschellen und die Dunkelheit waren einfach zu viel.
    Rebecca brach in Tränen aus.

    »Hey, sieh mal!« Sarah griff nach einem Paar Ohrringe und hielt sie Rebecca hin. »Sind die nicht cool? Sonderangebot!«
    »Klar, nimm sie doch«, bestätigte Rebecca ihre Freundin. Sie hatten schon den ganzen Nachmittag in der Shoppingmall verbracht, jede Menge Klamotten anprobiert und zu viel Junkfood gegessen. Sarah konnte essen und essen und nahm bei ihrem knapp einem Meter siebzig kein Gramm zu, während Rebecca schon aufpassen musste, was sie zu sich nahm. Sie hielt ihr Gewicht zwischen vierundvierzig und sechsundvierzig Kilo und wog sich täglich. Doch da die Waage heute Morgen nur knapp vierundvierzig Kilo angezeigt hatte, konnte auch sie sich etwas gönnen, fand sie. Sie hatten mit Zimtschnecken angefangen, danach gab es Salzbrezeln mit Käsesauce und jetzt zwei große Cookies mit Schokostückchen. Rebecca beschloss, sich ein paar Tage lang nicht zu wiegen. Hauptsache, die Jungs blickten ihr immer noch nach. Heute hatte sie ein paarmal bemerkt, wie sich Köpfe in ihre Richtung gedreht hatten, Blicke hatten sie bewundernd von den blonden Haaren bis zu den Zehenspitzen gemustert. Einmal meinte sie, eine männliche Stimme gehört zu haben: »Die ist heiß.« Sie trug eine gemütliche Khakihose, die trotzdem am Po eng genug saß und ihre Figur perfekt zur Geltung brachte. Beim Gehen wippte ihr schulterlanges Haar. Sie fand, dass sie gut aussah heute.
    Sarah trat mit ihrer Beute an die Kasse und winkte Rebecca, näher zu kommen. »Schau dir den mal an«, flüsterte sie und deutete hinter Rebecca.
    »Ich habe bereits einen Freund. Schon vergessen?«
    »So meine ich das nicht. Der hat dich so angestarrt. Aber nicht einfach so. Irgendwie … unheimlich.«
    Rebecca sah sich um. »Schon weg. Wie hat er denn ausgesehen?«
    »Eigentlich nicht schlecht. Nur … ein bisschen krass. Manche Mädchen hätten ihn wahrscheinlich scharf gefunden. Aber«, sie suchte nach den richtigen Worten, »ich weiß nicht, es fühlte sich seltsam an. Weißt du, so, wie wenn man plötzlich weiß, dass man besser die Autotüren verriegeln sollte.« Sarah sah auf ihre Geldbörse und schüttelte dann den Kopf. »Ach, eigentlich brauche ich die hier nicht wirklich. Lass uns lieber ein Eis essen gehen.«

    Mit ihren vierzehn Jahren war Rebecca alles andere als schüchtern. Sie schrieb gute Noten, wenn sie sich anstrengte, gehörte zur beliebtesten Clique, war die Erzfeindin von Tiffany Reynolds und ignorierte ihre Eltern, so gut es eben ging. Sie fand sich selbst cool und ziemlich schlau und den meisten anderen, die an ihrer Bushaltestelle einstiegen, überlegen. Ha, sie kicherte in sich hinein, vor allem Eddie oder, besser gesagt, Eddie-Spasti. Keines der Kinder dachte auch nur daran, leiser zu sprechen, wenn es diesen Spitznamen benutzte. Eddie Burling besuchte seit der dritten Klasse zusätzlich den »Unterricht für Kinder mit
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