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Sommerfalle

Sommerfalle

Titel: Sommerfalle
Autoren: Debra Chapoton
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die Taille und starrte ihn kalt an. Eddie sah zu Boden und antwortete nicht. Genau genommen hatte er den ganzen Sommer über kaum etwas gesagt, aber ihr schien das gar nicht aufzufallen.
    Er trat ans Spülbecken und nahm sich ein Glas Wasser. Das stürzte er hinunter und stellte danach das leere Glas in die Spülmaschine, wie sie es ihm beigebracht hatte. Dann, als sich seine Mutter endlich nicht mehr mit ihm beschäftigte, verschwand er in den Garten hinterm Haus.
    Auf dem Weg zu seinen Spielzeuglastern blieb er stehen und starrte in den Himmel. Den Blick nach oben gerichtet, behielt er den Kopf im Nacken, schielte aber in Wirklichkeit an seiner Nase entlang zum Haus, um zu sehen, ob seine Mutter ihn beobachtete. Sie räumte offenbar auf, hatte ihm den Rücken zugekehrt. Sehr gut! Rasch hob er seine Fahrzeuge auf und verzog sich damit hinter den Werkzeugschuppen, außer Sichtweite.
    Eddie ließ sich gegen die Bretterwand sinken und steckte sofort einen Fingernagel in den Mund. Mit der freien Hand schob er einen riesigen Truck herum. Dann spuckte er den Nagel aus und nahm sich G. I. Joe von einem anderen Laster. Er stellte die Spielfigur vor die Schuppenwand und ließ den Truck langsam auf das stumme Opfer zurollen. Im letzten Moment jedoch tat es ihm leid, und er flüsterte: »Ich werde dich retten.« Er bückte sich und schleuderte die Puppe weg. Dann beschimpfte er den Truck mit allen schlimmen Wörtern, die ihm einfielen.
    Er spielte die Szene noch ein paarmal, bis er hörte, dass seine Mutter ihn zum Abendessen rief. Er ließ seine Spielsachen liegen, lief um die Ecke und weiter in die Küche.
    Seine Mutter schien immer verärgert. Sie lächelte nie. Wie üblich schickte sie ihn bloß zum Händewaschen, und als er in die Küche zurückkam, schenkte sie ihm wortlos Kakao ein. Eddie setzte sich und starrte auf den leeren Stuhl, auf dem sein Vater immer gesessen hatte. Unbewusst begann er wieder, an seinen Nägeln zu knabbern.
    »Eddie!«

»Natürlich wünsche ich eine bevorzugte Behandlung meines Sohnes!« Mrs. Burling war empört. Gespräche wie dieses hatte sie schon öfter geführt. Sie saß mit dem Konrektor Mr. Davis, mit Miss Buckley, der Schulpsychologin, und mit der sichtlich störrischen Englischlehrerin Mrs. Randazzo an einem kleinen Tisch im Büro der Direktorin. Ihr Sohn Edward besuchte jetzt die neunte Klasse der Highschool, und sie hatte sich zum Ziel gesetzt, dass er in den überfüllten Gängen und Klassenzimmern einer der größten Schulen der Gegend nicht unter die Räder kommen sollte.
    »Aber Mrs. Burling«, sagte die Lehrerin, »Ihr Sohn muss nicht verhätschelt werden. Er ist ganz gut in der Lage …«
    Mrs. Burling schnitt ihr das Wort ab. »Hören Sie, ich kenne meinen Sohn besser als jeder andere. Er wurde durch den Tod seines Vaters schwer traumatisiert, er hat eine Lernbehinderung, er ist ziemlich schüchtern und in der Entwicklung deutlich hinter seinen Klassenkameraden zurück. Ich verlange nicht, dass er verhätschelt wird, aber er hat Defizite, und er muss erneut geprüft und entsprechend eingestuft werden, damit ihm eine besondere Betreuung zugestanden wird.«
    Mr. Davis und Mrs. Randazzo tauschten vielsagende Blicke, während die Psychologin freundlich einwandte: »Eddie hat alle Tests gut bestanden. Er hat weder ADS noch ADHS . Er ist auch kein Legastheniker oder, soweit wir das erkennen könnten, auf irgendeine andere Weise lernbehindert. Er mag emotional beeinträchtigt sein, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt und bezüglich des anstehenden Übergangs auf die Highschool braucht er wirklich die Chance, von den anderen Schülern als normal betrachtet zu werden. Ja, er ist schüchtern, aber das ist weder ungewöhnlich noch sonderlich schlimm. Wir waren doch alle sehr froh über seine Testergebnisse im letzten Jahr, oder nicht?« Sie lächelte und deutete auf einige Proben, die vor ihr ausgebreitet lagen, doch da hatte Mrs. Burling sich bereits erhoben.
    »Und wenn ich bis zur Schulaufsichtsbehörde gehen muss und einen Anwalt einschalten muss – was auch immer nötig sein wird: Ich will Edward im Förderzentrum haben und nirgendwo sonst.« Sie drehte sich um und verließ das Büro. Mr. Davis eilte ihr nach.
    »Sie hat bereits gewonnen«, sagte die Englischlehrerin.
    »Ich weiß«, sagte die Psychologin, »und der Junge hat verloren. Wieder mal. Armer Eddie. Ich würde es mit so einer Mutter nicht aushalten.«

    Der Beginn der Highschool war für Rebecca eine aufregende Zeit.
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