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Sommerfalle

Sommerfalle

Titel: Sommerfalle
Autoren: Debra Chapoton
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besonderem Förderbedarf«. Manchmal wirkte er völlig normal und, nun ja, durchschnittlich intelligent, dann wieder verhielt er sich aus heiterem Himmel ganz eigenartig. Rebecca erinnerte sich unangenehm daran, dass Eddie in der Sechsten einmal losweinte, weil ein Vogel gegen ein Fenster des Klassenzimmers geflogen war. Sechstklässler waren zum Heulen eindeutig zu groß. Aber er schien ernstlich besorgt um den armen Vogel und bat die Lehrerin, ihm helfen zu dürfen. Mrs. Marks erlaubte ihm, aus dem Fenster im Erdgeschoss zu steigen und den Vogel aufzuheben. Doch während sich kein anderer dafür interessierte, was Eddie tat, beobachtete Rebecca ihn, nachdem er das erbärmliche Federbüschel aufgesammelt hatte. Er hob den Vogel in beide Hände. Doch er legte ihn nicht behutsam wieder zurück. Es sah so aus, als … nein, sie war sich sicher, dass er den letzten Rest Leben aus ihm herausquetschte. Dann hob er das schmutzige Tier an seine Lippen und rief: »Flieg, Vogel, flieg!« Er warf das Tier nach rechts in die Luft, aus Rebeccas Blickfeld. Eddie starrte anschließend zwar in den Himmel und lächelte, doch Rebecca wusste, dass der tote Vogel auf den Boden gestürzt war. Sie nahm sich vor, nach dem Unterricht nachzusehen. Doch später hatte sie den Vorfall schon fast wieder vergessen, und Tiffany begann wieder, sie zu ärgern, also ging sie stattdessen lieber schnell zum Bus.
    Das war vor zwei Jahren gewesen, und jetzt stand sie an der Bushaltestelle und spähte zu Eddie hinüber. Er starrte auf seine Schuhspitzen. Sein Gesicht war so verpickelt, dass man nicht sagen konnte, ob sich jemals etwas Attraktives daraus entwickeln könnte. Seine Mutter fand ihn wahrscheinlich trotzdem süß. Aber, hey, warum machte sie sich überhaupt Gedanken über ihn? Er war praktisch zurückgeblieben. Obwohl, nicht richtig, nur »ein besonderes Kind«. Eddie-Spasti. Plötzlich sah er hoch und lächelte sie an. Rebecca drehte ihm schnell den Rücken zu und konzentrierte sich darauf, unbeteiligt zu wirken. Der Bus musste jeden Moment kommen. Eddies Lächeln vergaß sie so rasch wie das Wetter von gestern.

    Eddie war verknallt. Becky war das tollste Mädchen der Schule. Er konnte sich nicht erinnern, wann er begonnen hatte, sie zu mögen. Alle seine Katzen hatte er nach ihr benannt. Da gab es Rebbie, Becker und Lil Beck. Manchmal beobachtete er sie draußen beim Werkzeugschuppen, wo sie Mäuse jagten und mit ihnen spielten. Er konnte ebenso still sitzen wie sie, und er imitierte ihre Bewegungen, schnappte nach Phantasieopfern, schlug sie mit seinen Klauen tot und verschlang die hilflosen Nager genüsslich. Eddie aß natürlich keine Mäuse, sondern er stellte sich dabei vor, dass er einem bestimmten Mädchen auflauern und es festhalten würde, um es zu küssen.
    An der Bushaltestelle starrte er zwar immer nur auf seine Schuhe, aber er konnte aus seinen Augenwinkeln außergewöhnlich gut beobachten, was um ihn herum geschah. So bemerkte er jetzt, dass Becky zu ihm hersah, aber auch, dass der staubige, gelbe Bus sich bereits näherte. Sein Herz begann heftig zu klopfen. Er stellte sich vor, eine Katze zu sein. Was würden Rebbie oder Becker jetzt tun? Wenn Becky seine Maus wäre, könnte er dann lange genug stillhalten, um sie zu überraschen? Sie zu fangen? Die Grinse-Katze bei Alice im Wunderland lächelte dauernd, also sollte er das vielleicht auch tun. Er hob den Blick, drehte den Kopf in ihre Richtung und grinste Becky an.
    Für Eddie stand plötzlich die Zeit still. Er sah fest in ihre Augen und wusste einfach, dass sie eines Tages zusammen sein würden. Vor seinem inneren Auge liefen all die Momente ab, in denen Becky ihn nicht ignoriert hatte. In der darauffolgenden Sekunde jedoch fiel Eddies Herz wie ein Stein zu Boden, weil Becky sich abwandte, ohne zurückzulächeln.
    Eddies Glück war zerbrochen. Wieder einmal.

    Rebecca hatte lange geweint, bis ihr die Tränen ausgingen. Sie musste immer noch auf die Toilette, und jetzt hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt, sodass sie die Umrisse des Bettes erkennen konnte – und die eines Eimers, der am Fußende von der Decke hing. Trotz ihrer an den Bettpfosten geketteten linken Hand gelang es ihr, auf die Knie zu kommen und die rechte in Richtung Eimer auszustrecken. Ihr Bewegungsradius war gerade groß genug, um den Eimer von seinem Haken herunterzustoßen, sodass er auf die Matratze fiel. Er landete weich und rollte auch nicht herunter.
    Plötzlich kamen ihr noch
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