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Sommerbuch

Sommerbuch

Titel: Sommerbuch
Autoren: Tove Jansson
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wehte, säuselte schläfrig ums Haus und um die Insel, sie hörte durch die Wand, daß der Wetterbericht angestellt war, und ein Sonnenrand wanderte weiter über das Fensterbrett.
    Sophia riß die Tür auf, kam herein und sagte: »Sie weint. Sie hat Angst vor Ameisen und glaubt, die sind überall. Sie hebt immerzu bloß die Beine hoch, so, stampft und weint und wagt nicht stillzustehen. Was sollen wir mit ihr machen ?«
    Sie beschlossen, Berenice ins Boot zu nehmen, wo es keine Ameisen gab, sie folglich aus dem größeren Schrecken in einen kleineren zu locken. Und die Großmutter las weiter.
    Über dem Fußende ihres Bettes hing ein hübsches Bild mit einem Einsiedler. Es war eine Reproduktion in Farbe, auf Glanzpapier, aus einem Buch ausgeschnitten. Man sah eine Wüste bei Abenddämmerung! Nur Himmel und trockene Erde. In der Mitte sah man den Eremiten in seinem Bett liegen, er las. Er hatte eine Art von offenem Zelt um sich herum und einen Nachttisch mit Petroleumlampe. Zelt, Bett, Lichtkreis und Nachttisch waren beinah so groß wie er. Weiter hinten in der Dämmerung sah man undeutlich, nur schwach angedeutet, einen ruhenden Löwen. Sophia fand den Löwen gefährlich, die Großmutter meinte dagegen, daß er den Einsiedler beschütze.
    Bei Südwestwind bekommt man leicht das Gefühl, daß die Tage einander nur ablösen, ohne Veränderung oder Ereignisse, Tag und Nacht das gleiche, ruhige Brausen. Der Vater arbeitet an seinem Tisch. Die Netze werden ausgelegt und hereingeholt. Jeder bewegt sich auf der Insel mit seinen eigenen Dingen, die selbstverständlich sind, über die man nicht redet. Keiner erwartet Bewunderung oder Mitgefühl. Es ist einfach nur Sommer, lang wie immer, und alles wächst weiter nach eigenem Rhythmus. Daß das Kind Berenice — wir nennen es jetzt mit dem heimlichen Namen — auf die Insel gekommen war, führte zu Komplikationen, die niemand geahnt hatte. Sie hatten nicht verstanden, daß das Wohnen auf der Insel mit allen Zufälligkeiten dennoch ein unteilbares Ganzes war. Ihre zerstreute Art zu leben und dem langsamen Lauf des Sommers zu folgen, konnte keinen Gast mit einbeziehen, und sie begriffen nicht, daß das Kind Berenice mehr vor ihnen Angst hatte als vor dem Meer oder den Ameisen oder dem Wind nachts in den Bäumen.
    Am dritten Tag kam Sophia ins Gästezimmer und sagte: »Jetzt geht es nicht mehr. Sie ist unmöglich. Ich habe sie zum Tauchen gebracht, aber das hilft auch nichts .«
    »Hat sie wirklich getaucht ?« fragte die Großmutter.
    »Natürlich. Ich hab’ ihr einen Stoß gegeben, und dann ist sie getaucht .«
    »Ach so«, sagte die Großmutter. »Und was jetzt?«
    »Ihre Haare vertragen kein Salzwasser«, erklärte Sophia bekümmert. »Es sieht schrecklich aus. Und ich hatte doch die Haare so gern !«
    Die Großmutter warf die Decke ab, stand auf, nahm ihren Stock und fragte: »Wo ist sie ?«
    »Im Kartoffelacker«, sagte Sophia.
    Die Großmutter ging allein quer über die Insel zu den kleinen Kartoffelbeeten. Sie lagen höher als das Meer, im Windschutz zwischen den Steinen, und hatten den ganzen Tag Sonne. Saatkartoffeln, also eine der frühen Sorten, setzt man in ein Sandbett, legt eine Schicht Tang darüber. Sie werden mit Salzwasser gegossen, und die Kartoffeln werden sauber und oval, leicht rosafarben, ziemlich klein. Das Kind saß hinter dem größten Stein, halb in den Kiefern. Die Großmutter begann ein Stück davon ab mit ihrem kleinen Spaten zu graben. Noch waren die Kartoffeln zu klein, sie nahm trotzdem neun oder zehn heraus.
    »So macht man das, weißt du, Berenice «, sagte sie zu ihr. »Man steckt eine große in die Erde, und dann werden es viele kleine. Wenn man noch ein bißchen wartet, werden sie alle groß .«
    Berenice schaute sie unter ihrem zerzausten Haar hastig an und sah dann wieder weg, sie interessierte sich nicht für Kartoffeln, für nichts und für niemanden. Die Kartoffeln interessierten sie nicht, niemand interessierte sie und nichts.
    Wenn sie ein wenig größer wäre, dachte die Großmutter. Am liebsten ein ordentliches Stück, dann könnte ich ihr erklären, daß ich verstehe, wie schrecklich es ist! Da kommt man Hals über Kopf in einen kompakten Zusammenhang von Menschen hinein, die immer zusammen gelebt haben und die sich mit den Angewohnheiten, die jeder Besitzer hat, nur umeinander gekümmert haben, auf einem Stückchen Land, das sie kennen und verstehen, und jede kleine Bedrohung ihrer Gewohnheiten schweißt sie noch mehr zusammen,
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