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Sommerbuch

Sommerbuch

Titel: Sommerbuch
Autoren: Tove Jansson
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innen zum Zimmer hin. Das erste Bild stellte ein Kind mit häßlichen Haaren vor, das dastand und schrie, während riesige Ameisen an ihm emporkletterten. Das zweite war dasselbe Kind, dem ein Stein an den Kopf flog. Das dritte war sozusagen ein ganzer Schiffbruch. Woraufhin die Großmutter annahm, daß die Sache abreagiert war. Als sie ihr Buch aufschlug und endlich die Stelle gefunden hatte, wo sie voriges Mal aufgehört hatte, wurde durch die Spalte unter der Tür ein Papier geschoben.
    Berenices Zeichnung war gut. Sie war irgendwie mit beherrschter Raserei ausgeführt und stellte ein Wesen vor, dessen Gesicht ein schwarzes Loch war. Dieses Wesen bewegte sich vorwärts mit vorgeschobenen Schultern, und die Arme waren lange, nach oben hin geschiente Flügel, wie bei einer Fledermaus. Sie setzten oben am Hals an und schleiften auf beiden Seiten am Boden, eine Stütze, oder möglicherweise ein Hindernis für den unbestimmbaren, knochenlosen Körper. Es war ein schreckliches und so ausdrucksvolles Bild, daß die Großmutter es ergriffen bewunderte. Sie machte die Tür auf und rief: »Es ist gut! Es ist wirklich eine gute Zeichnung !« Sie sah das Kind nicht an, nur die Zeichnung, und ihr Tonfall war weder freundlich noch ermunternd.
    Berenice war auf den Stufen sitzen geblieben und drehte sich nicht um. Sie nahm einen kleinen Stein und warf ihn steil in die Luft. Danach stand sie auf und ging mit langsamen und wohlabgemessenen Bewegungen zum Strand hinab. Sophia stand beim Holz und wartete.
    »Und was macht sie jetzt ?« fragte die Großmutter.
    »Sie wirft Steinchen ins Wasser«, sagte Sophia. »Sie geht zur Inselspitze .«
    »Das ist gut«, sagte die Großmutter. »Komm her und sieh dir an, was sie gemacht hat. Wie findest du das ?«
    » Naja «, sagte Sophia.
    Die Großmutter machte das Bild an der Wand mit zwei Reißzwecken fest und sagte: »Eine ausgezeichnete Idee. Und jetzt lassen wir sie in Ruhe .«
    »Kann sie zeichnen ?« fragte Sophia düster.
    »Nein«, antwortete die Großmutter, »vermutlich nicht. Sie gehört sicherlich zu denen, die einmal ein gute Sache machen und dann nie wieder !«

Die Waldwiese

    Sophia fragte, wie es im Himmel aussähe, und ihre Großmutter antwortete, vielleicht wie jene Wiese. Sie kamen auf dem Dorfweg an einer Waldwiese vorbei, blieben stehen und schauten sie sich an. Es war sehr heiß, die Landstraße war rissig, und alle Pflanzen im Grabenrand hatten staubige Blätter. Sie gingen hinüber und setzten sich ins Gras, das hoch und frisch war, mit Glockenblumen und Katzenpfötchen und Hahnenfuß.
    »Gibt es im Himmel Ameisen ?« fragte Sophia.
    »Nein«, sagte die Großmutter und legte sich vorsichtig auf den Rücken. Sie schob den Hut über die Nase und versuchte heimlich zu schlafen. In der Ferne ging irgendeine Landwirtschaftsmaschine, unermüdlich, friedfertig. Wenn man die Maschine so bei sich abstellte — es ging ganz leicht — und nur den Insekten lauschte, wurden es viele tausend Millionen, die die ganze Welt erfüllten, steigend und fallend vor Verzückung - Sommer! Sophia pflückte Blumen und behielt sie in der Hand, bis sie heiß und unangenehm wurden. Sie legte den Strauß auf die Großmutter und fragte, wie der liebe Gott alle, die zur gleichen Zeit beteten, auseinanderhalten könne.
    »Er ist doch so klug, so klug«, murmelte die Großmutter schläfrig unter dem Hut.
    »Antworte mal richtig«, sagte Sophia. »Wie kann er das schaffen ?«
    »Er hat Sekretäre...«
    »Aber wie schafft er es, das zu erfüllen, worum man bittet, wenn er vorher nicht mehr Zeit genug hat, mit seinem Sekretär zu sprechen, und bevor eine Sache schiefgeht ?«
    Die Großmutter tat, als ob sie schliefe und wußte die ganze Zeit, daß sie nicht hereingelegt werden konnte. Schließlich sagte sie, er würde schon alles richtig und so machen, damit von dem Augenblick an, in dem man bittet, nichts Gefahrvolles geschehen kann. Und nun fragte ihr Enkelkind, was geschieht, wenn man von einer Kiefer fällt und betet, während man sich gerade in der Luft befindet.
    »Haha«, sagte die Großmutter und wurde munter. »Dann läßt er dich in einem Zweig hängen .«
    »Das ist gescheit«, gab Sophia zu. »Jetzt darfst du fragen. Aber etwas über den Himmel.«
    »Glaubst du, alle Engel haben ein Kleid an, damit niemand weiß, zu welcher Sorte sie gehören ?«
    »Frag doch nicht so dumm. Du weißt doch, daß sie ein Kleid anhaben. Hör genau zu, was ich sage: Wenn einer ganz sicher sein will, wozu jemand
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