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Sommerbuch

Sommerbuch

Titel: Sommerbuch
Autoren: Tove Jansson
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Kind.
    »Aber ja, ja«, sagte die Großmutter. »Zieh dich jetzt an, damit wir nach Hause kommen, bevor er aufwacht .«
    Die erste Müdigkeit machte sich bemerkbar. Wenn wir zu Hause sind, dachte sie, wenn wir wieder im Haus sind, ich glaube, ich muß dann etwas schlafen. Und ich darf nicht vergessen, ihm zu sagen, daß das Kind immer noch Angst vor tiefem Wasser hat.

Mondschein

    Einmal im April, es war Vollmond und Eis bedeckte das ganze Meer, wachte Sophia auf, und sie dachte daran, daß sie zur Insel zurückgekommen waren, und daß sie ein eigenes Bett hatte, weil ihre Mutter tot war. Im Herd brannte es noch, und das Feuer flatterte an der Decke, wo die Stiefel zum Trocknen hingen. Sie stand auf, der Fußboden war sehr kalt. Sie schaute zum Fenster hinaus.
    Das Eis war schwarz, und mitten auf dem Eis sah sie die offene Herdluke und das brennende Feuer, eigentlich zwei Herdluken ganz dicht nebeneinander.
    In dem anderen Fenster brannten die Feuer unterirdisch, und durch das dritte Fenster sah sie die doppelte Spiegelung des ganzen Zimmers, die Koffer und Kisten und Kästen mit aufgesperrten Deckeln, bis zum Rand gefüllt mit Moos und Schnee und trockenem Gras; alles war offen und der Boden ein kohlschwarzer Schatten. Sie sah zwei Kinder auf dem Felsen draußen, quer durch sie hindurch wuchs der Vogelbeerbaum, und der Himmel hinter ihnen war dunkelblau.
    Sie legte sich in ihr Bett und betrachtete das Feuer, das an der Decke tanzte. Unterdessen kam die Insel immer näher ans Haus. Näher und näher. Sie schliefen bei einer Strandwiese mit Schneeflecken auf der Decke, und unter ihnen wurde das Eis immer dunkler und begann zu gleiten; unmerklich öffnete sich im Fußboden eine Fahrrinne, und ihr ganzes Gepäck schwamm hinaus in die Lichtbahn des Mondes. Jeder Koffer war offen und vollgepackt mit Moos und Finsternis, und keiner kam zurück.
    Sophia streckte die Hand aus und zog ihre Großmutter an den Zöpfen, ganz vorsichtig. Die Großmutter wachte sofort auf.
    »Hör mal«, flüsterte Sophia. »Ich habe im Fenster zwei Feuer gesehen. Warum sind es zwei und nicht nur eins ?« Die Großmutter überlegte und antwortete: »Weil wir Doppelfenster haben .«
    Nach einem Weilchen fragte Sophia: »Ist die Tür wirklich zu ?«
    »Sie ist offen«, antwortete ihre Großmutter. »Sie ist immer offen, du kannst unbesorgt schlafen .«
    Sophia rollte sich in ihre Decke ein. Sie ließ die ganze Insel auf das Eis hinausgleiten und immer weiter bis an den Horizont.
    Gerade als sie beinahe eingeschlafen war, stand der Vater auf und legte mehr Holz in den Herd.

Der Gespensterwald

    Auf der Seite zum offenen Meer hin, hinter dem großen Felsen, gab es auf der Insel einen Waldstreifen. Hier lag immer der Wind drauf, und der Wald war tot. Er hatte jahrhundertelang versucht, gegen die Stürme anzuwachsen und hatte sein eigenes Gesicht bekommen. Wenn man daran vorbeiruderte, sah man, daß sich jeder einzelne Baum vordem Wind niederwarf. Sie duckten und verknoteten sich und viele krochen am Boden entlang. Nach und nach barsten die Stämme, faulten oder sanken in sich zusammen, die morschen stützten oder aber zerschmetterten die, die noch grüne Wipfel hatten, und alle zusammen bildeten ein zerrupftes Gewirr von hartnäckiger Unterwürfigkeit.
    Der Boden glänzte von braunen Nadeln. Nur dort, wo sich die Tannen entschlossen hatten, langsam weiterzukriechen statt zu stehen, wuchs ihr Grün wildwuchernd feucht und saftig wie in einem Urwald. Sie nannten den Wald Gespensterwald. Er hatte sich selbst geformt, mit Mühe und ohne Hast, und das Gleichgewicht zwischen Überleben und Zerstörung war so empfindlich, daß auch die geringste Veränderung nicht denkbar war. Eine Lichtung zu schlagen oder die übereinandergesunkenen Stämme auseinanderzunehmen, konnte den Untergang des Gespensterwaldes bedeuten. Das Sumpfwasser durfte nicht abgeleitet werden, hinter der dichten, schützenden Mauer durfte nichts gepflanzt werden.
    Tief im Dickicht, in den immer dunklen Löchern, wohnten Vögel und Kleingetier, bei ruhigem Wetter konnte man Flügelschlagen hören oder ein hastiges Geräusch von Tierpfoten. Diese Tiere zeigten sich nie.
    In der ersten Zeit auf der Insel versuchte die Familie den Gespensterwald schlimmer zu machen, als er war. Sie sammelten auf den Inseln rundherum Baumstümpfe und trockene Wacholderzweige, die sie herüberruderten. Was sie auf die Insel schleppten, waren riesige Stücke urwüchsiger und verblichener Schönheiten. Sie brachen
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