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Sommerbuch

Sommerbuch

Titel: Sommerbuch
Autoren: Tove Jansson
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gingen immer weiter, und sie wurde immer größer. Der Mondschein lag auf ihrem Hut und ihren Schultern, sie wachte über das Schicksal und die ganze Insel. Es bestand kein Zweifel, die Großmutter würde alles finden, was notwendig war, um Unglück und Not abzuwenden. Alles fand in ihrer Tasche Platz. Sophia folgte ihr die ganze Zeit und sah, wie die Großmutter den Mond auf dem Kopf trug, die Nacht wurde ganz still. Als sie zum Haus zurückkamen, meinte die Großmutter, man dürfte nun wieder sprechen.
    »Nein, nicht reden«, flüsterte Sophia. »Sei still. Laß es in der Tasche .«
    »Gut«, sagte die Großmutter. Sie brach ein kleines Stückchen von der morschen Treppe ab und stopfte es auch hinein, dann ging sie schlafen. Der Mond sank ins Meer, und es gab eigentlich keinen Anlaß zu Unruhe.
    Von diesem Tage an hatte die Großmutter Zigaretten und Streichhölzer in der linken Tasche, und alle lebten fröhlich miteinander bis zum Herbst. Da wurde Großmutters Jacke zur chemischen Reinigung geschickt, und fast unmittelbar danach verstauchte sich Sophias Vater den Fuß.

Im August

    Die Nächte werden unmerklich dunkler. An dem einen oder anderen Augustabend hat man draußen noch etwas nachzugucken, und plötzlich ist alles kohlschwarz, großes schwarzes Schweigen um das Haus herum. Es ist immer noch Sommer, aber er lebt nicht mehr, er ist stehengeblieben, ohne zu welken, und der Herbst ist noch nicht bereit zu kommen. Noch gibt es keine Sterne, nur Dunkelheit. Aus dem Keller wird der Petroleumbehälter geholt, der im Korridor stehen soll, und die Taschenlampe wird auf ihren Haken an der Tür gehängt.
    Nicht unmittelbar, aber nach und nach, im Vorbeigehen, wechseln die Dinge ihren Platz, folgen dem Lauf des Jahres. Alles rückt näher an das Haus heran, Tag um Tag. Sophias Vater nimmt das Zelt und die Wasserpumpe herein. Es löst die Schäkel der Boje und vertäut die Kette mit einem Korkenschwimmer. Das Boot wird auf dem Schlitten hochgezogen, und der Kahn wird hinter den Holzstapeln aufgebockt. So beginnt der Herbst. Einen Tag später werden die Kartoffeln aus der Erde geholt und die Wassertonne gegen die Hauswand gerollt. Eimer und Gartengeräte werden näher ans Haus gestellt und die Ziertöpfe verschwinden. Großmutters Sonnenschirm und andere flüchtige und liebenswerte Dinge, alles tauscht seinen Platz. Auf der Veranda stehen der Feuerlöscher und das Beil, die Brechstange und eine Schaufel.
    Und gleichzeitig verändert sich die ganze Landschaft.
    Die Großmutter liebte die große Veränderung im August, vielleicht vor allem, weil alles in Bewegung geriet, alles seinen eigenen Platz erhielt und keinen anderen haben konnte. Es war die Zeit, da alle Spuren verschwinden mußten und die Insel, soweit wie möglich, wieder in ihre eigene Welt verwandelt werden sollte.
    Die müden Beete wurden mit Wällen von Tang zugedeckt. Dauerregen ebnete sie ein oder spülte sie ab. Was immer noch blühte, war rot oder gelb, starke Farbflecken über dem Tang. Im Wald drin gab es ein paar weiße Rosen, die hervorbrachen und nur einen Tag und eine Nacht in unendlicher Pracht blühten. Vielleicht war es vom Regen, daß die Großmutter Schmerzen in den Beinen bekam und nicht so viel auf der Insel umhergehen konnte, wie sie wollte. Aber sie ging jeden Tag ein kleines Stückchen, kurz bevor die Dunkelheit kam und den Boden einebnete.
    Die Großmutter räumte überall das weg, was an Menschen erinnerte. Sie sammelte Nägel und Papiergeschnipsel oder Stoffreste oder Plastikfetzen, Holzstückchen mit Ölflecken und den einen oder anderen Büchsendeckel. Sie ging hinab zum Strand und machte Feuer, wo sie das verbrannte, was brennen wollte, und sie spürte die ganze Zeit über, daß die Insel immer ursprünglicher wurde, sich immer mehr entfernte. Sie schüttelt uns ab, dachte sie. Bald ist sie unbewohnt. Fast.
    Die Nächte wurden immer dunkler. Am Horizont entlang lief eine ununterbrochene Kette von Leuchtturmlichtern, und manchmal hämmerten draußen im Fahrwasser große Schiffe vorbei. Das Meer war unbewegt.
    Als der Boden ringsum leer war, strich Sophias Vater alle Ringbolzen mit roter Mennige an, die Veranda schmierte er an einem warmen Tag ohne Regen mit Seehundfett ein. Er ölte das Werkzeug und die Scharniere mit Caramba und entrußte den Schornstein. Die Netze wurden drinnen aufgehängt. Gegen die Herdwand stapelte er Holz für das nächste Jahr und für Schiffbrüchige, und der Vorrat wurde mit Seilen eingeriemt , denn er lag
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