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Sommerbuch

Sommerbuch

Titel: Sommerbuch
Autoren: Tove Jansson
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zugenommen, Welle für Welle erhob sich in riesigen weißen Höhen. Der Schaum zischte wie Peitschenschläge gegen die Felsen, und über die Insel rasten große Vorhänge von fliegendem Wasser weiter nach Westen. Der Sturm war atlantisch! Der Vater kümmerte sich wieder um das Boot und spannte ein Seil. Als er zurückkam, ging er auf den Dachboden und suchte nach Brennholz. Der Herd war ziemlich feucht, aber als sich das Feuer erholte, brannte es wie rasend. Sie hörten zu frieren auf, noch bevor es im Raum warm wurde.
    Auf dem Boden vor dem Herd breitete der Vater ein Heringsnetz aus für den, der schlafen wollte. Das Treibnetz war ziemlich alt und zerriß ihm unter den Händen. Schließlich zündete der Vater seine Pfeife an, setzte sich an den Tisch und fuhr fort zu arbeiten.
    Sophia ging auf den Turm. Der Turmraum war sehr klein, vier Fenster, eins für jede Himmelsrichtung. Sie sah, wie klein die Insel geworden war, nur ein unwichtiger Fleck aus Steinen und farbloser Erde. Aber das Meer war gewaltig, weiß und gelbgrau und ohne Horizont. Auch das Festland gab es nicht mehr und auch keine Inseln. Es gab nur noch diese eine Insel, umherschwimmend, bedroht und beschützt durch den Sturm und vergessen von allem, außer von Gott, den Erfüller von Gebeten.
    »Lieber Gott«, sagte Sophia ernst, »ich habe nicht gewußt, daß ich so wichtig bin! Ich danke dir, es war lieb von dir. Amen!«
    Es wurde langsam Abend, und die Sonne wurde rot, als sie sank. Im Herd brannte es. Im Westfenster glühte es wie Feuer, und die Tapete war noch schöner geworden. Sie hatte Wasserflecken und Risse, aber man konnte noch das ganze Muster in Hellblau und Rosa erkennen mit sorgsam gemalten Girlanden. Die Großmutter kochte in einer Blechbüchse Fleisch, und zu allem Glück hatte sie sogar Salz gefunden. Nach dem Essen ging der Vater nach dem Boot schauen.
    »Ich werde die ganze Nacht nicht schlafen«, erklärte Sophia. »Stellt euch vor, wenn wir nicht hergekommen, sondern zu Hause geblieben wären, als es anfing. Wie schrecklich!«
    » Naja «, sagte die Großmutter, »ich bin aber wegen des Bootes ein wenig besorgt. Und ich kann mich nicht besinnen, ob wir das Fenster zugemacht haben .«
    »Das Boot«, flüsterte Sophia.
    »Eben, und das Treibhaus. Und die Gladiolen haben keine Stöckchen bekommen. Und die Kochtöpfe lagen im Wasser .«
    »Sag nichts mehr«, rief Sophia.
    Aber die Großmutter fuhr unbedacht fort: »Und dann denke ich an alle, die draußen auf See sind — und an alle Boote, die kentern .«
    Sophia starrte sie an und schrie: »Wie kannst du das alles sagen, wo du weißt, daß ich schuld habe! Ich habe ja um den Sturm gebeten, und dann ist er gekommen !« Sie fing laut zu weinen an. Und sie sah vor sich schreckliche und eindrucksvolle Bilder. Eine lange Kette von zerstörten Booten und Gladiolen, Fenstern und Leuten und allen Kochtöpfen, die auf dem Boden des Meeres herumrollten, und der Wimpel, der keinen Wind vertrug, und die Unterlage beim Abwaschgestell. Du lieber Himmel, alles sah sie zerschlagen und verloren.
    »Wir haben doch den Kahn raufgezogen ?« sagte die Großmutter.
    Aber Sophia schlug die Arme um den Kopf und brach schluchzend zusammen unter der Last der ganzen Katastrophe von Östra Nyland .
    »Es ist doch nicht deine Schuld«, sagte die Großmutter. »Hör mal zu, was ich sage. Es hätte trotzdem Sturm gegeben .«
    »Aber nicht einen solchen«, weinte Sophia. »Der liebe Gott und ich haben ihn doch gemacht !«
    Die Sonne war untergegangen, und das Zimmer wurde rasch dunkel. Das Feuer brannte im Herd. Es wehte weiter kräftig.
    »Der liebe Gott und du«, wiederholte die Großmutter ärgerlich. »Warum sollte er gerade dir gehorchen, wenn zum Beispiel zehn andere Menschen gerade um Schönwetter gebeten haben? Und das haben sie bestimmt !«
    »Aber ich habe es zuerst getan«, sagte Sophia. »Und du siehst ja, daß es nicht schönes Wetter geworden ist .«
    »Gott«, sagte die Großmutter, »Gott hat so viel zu tun, der hat gar keine Zeit zuzuhören .«
    Der Vater kam zurück und legte Holz auf, er gab ihnen eine Decke, die schlecht roch, und ging noch mal die Wellen ansehen, bevor es finster wurde.
    »Du hast selbst gesagt, daß er zuhürt «, sagte Sophia kalt. »Du hast gesagt, er hört sich alles an, worum man bittet .«
    Die Großmutter legte sich auf das Treibnetz und sagte: »Ja, natürlich, aber guck mal, ich war zuerst dran .«
    »Wie, zuerst?«
    »Ich habe vor dir gebetet, basta .«
    »Wann hast
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