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Sommer

Sommer

Titel: Sommer
Autoren: Hermann Hesse
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Papiere in den Kamin stecken und anzünden. Ohnehin geschieht es mir so leicht, daß eine Arbeit, die mir wochen- und monatelang lieb und wichtig war, plötzlich ihren Zauber für mich verliert, daß ich sie liegenlasse und schließlich vernichte.
    Also die heißen Wochen sind mir erträglich und nicht unfruchtbar vergangen. Ich habe auch manches Schöne gelesen, das Schönste davon war ein friedliches Wiederlesen von Stifters »Feldblumen« an einigen warmen Augustabenden. Und auch einige neue Bücher haben sich bei mir angesammelt, als Überbleibsel aus einer Menge von Verlegerpaketen, einige gute, behaltenswerte Bücher, für deren Nennung Sie mir dankbar sein werden. […]
    Es gibt um diese Zeit des allmählich sich neigenden Sommers in der Luft eine gewisse Klarheit, die ich »malerisch« nennen würde, wenn die Maler nicht unter »malerisch« das verstehen würden, was leicht zu malen ist. Diese Klarheit aber ist außerordentlich schwer zu malen, und reizt doch unendlich dazu, sie mit dem Pinsel zu bewältigen und zu verherrlichen, denn nie haben die Farben diese tiefe magischeLeuchtkraft, nie die Schatten diese Zartheit, ohne doch dünn zu werden, nie auch sind in der Natur schönere Farben vorhanden als jetzt, wo alles schon voll Herbstahnungen ist, und doch noch nicht die etwas grelle und harte Farbenfreude des eigentlichen Herbstes begonnen hat. Aber in den Gärten stehen jetzt die leuchtendsten Blumen des Jahres, es blühen da und dort noch Granaten, und dann die Dahlien, die Zinnien, die Frühastern, die zauberhaften Korallenfuchsien! Aber der Inbegriff sommerlicher und vorherbstlicher Farbenfreude sind doch die Zinnien! Diese Blumen habe ich jetzt immer im Zimmer stehen, sie sind ja zum Glück ziemlich haltbar, und ich verfolge die Verwandlungen eines solchen Zinnienstraußes von seiner ersten Frische bis zur Welke mit einem Gefühl von Glück und von Neugierde ohnegleichen.
    Strahlenderes und Gesunderes gibt es in der Blumenwelt kaum als ein Dutzend frisch geschnittener Zinnien von verschiedenen Farben. Das knallt nur so von Licht und schreit von Farbe. Die grellsten Gelb und Orange, die glühendsten Rot und die wunderlichsten Rotviolett, die oft wie Farben an Sonntagskleidern naiver Landmädchen aussehen können – und man kann diese Farben nebeneinanderstellen und miteinander vermengen, wie man will, immer sind sie schön, immer sind sie nicht bloß heftig und leuchtend, sondern nehmen auch einander an, halten Nachbarschaft, reizen und steigern einander.

    Ich erzähle Ihnen ja da nichts Neues. Ich bilde mir nicht ein,der Entdecker der Zinnien zu sein. Ich mache Ihnen nur Mitteilung von meiner Verliebtheit in diese Blumen, weil sie zu den angenehmsten und bekömmlichsten Gefühlen gehört, von denen ich seit langem heimgesucht worden bin. Und zwar entzündet sich diese, vielleicht etwas senile, aber keineswegs schwächliche Verliebtheit ganz besonders am Verwelken dieser Blumen! An den Zinnien, die ich in den Vasen langsam erblassen und hinsterben sehe, erlebe ich einen Totentanz, ein halb trauriges, halb köstliches Einverstandensein mit der Vergänglichkeit, weil eben das Vergänglichste das Schönste, weil das Sterben selbst so schön, so blühend, so liebenswert sein kann.
    Betrachten Sie einmal, lieber Freund, einen zehn Tage alten Zinnienstrauß! Und betrachten Sie, während er noch eine Woche lang oder länger weiter sich verfärbt und immer noch schön bleibt, betrachten Sie ihn jeden Tag einigemale recht genau! Sie werden sehen, daß diese Blumen, die in ihrer Frische die denkbar grellsten, jauchzendsten, trunkensten Farben hatten, jetzt die müdesten, zärtlichsten, die zartest abgetönten Farben bekommen haben. Das Orange von vorgestern ist heute ein Neapelgelb, morgen ein mit dünner Bronze überhauchtes Grau. Das bäuerische frohe Blaurot wird langsam wie von einer Blässe, vom Gegenteil eines Schattens, überzogen; die müde werdenden Blattränder der Blüten biegen sich da und dort mit sanfter Falte um und zeigen ein gedämpftes Weiß, ein unaussprechlich rührendes, klagendesGraurosa, wie man es an ganz verblaßten Seidensachen der Urgroßmutter oder an alten, erblindenden Aquarellen sieht. Und achten Sie, Freund, auch sehr auf die untere Seite der Blütenblätter! An dieser Schattenseite, die beim Einknicken
    der Stiele oft plötzlich überdeutlich sichtbar wird, vollzieht sich das Spiel dieses Farbenwandels, diese Himmelfahrt, dies Hinübersterben ins immer Geistigere noch duftiger,
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