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Sommer

Sommer

Titel: Sommer
Autoren: Hermann Hesse
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Kiesgeröll blau und tiefgrün kommt Welle um Welle heran, leckt am rot und orangenen Strand, rückt am Steingeschiefer, spielt mit dem Schwemmholz, knistert im dünnen Schilf. In hellblauem Dunst jenseits der kristallenen Wasserbläue steht Berg hinter Berg, jeder fernere um einen leisen Ton heller, um einen leisen Gedanken duftiger, darüber hoch und grimmig die Sonne. Ich hänge den Rucksack an einen Ast, ich reiße die Kleider ab, kaum ertragen die nackten Fußsohlen den durchglühten Kies. Das seichte Wasser, in das ich trete, ist warm wie die Luft, erst draußen beim Schwimmen empfinde ich eine Ahnung von Kühle, tief tauche ich in den dunklen blauen Abgrund hinab. Ich lege mich auf den Rücken, treibe lang, jede Welle schlappt mir launaß über Augen und Mund, aber der Wind kühlt, langsam, mit leisem Saugen zieht er die Hitze aus meiner aufatmenden Haut. Gestillt kehre ich zurück, rolle mich eine Weile im seichten Strandwasser, springe hoch und werfe mich in den brennenden Sand an die Sonne, liege lange tot, um nochmals heiß zu werden und das Spiel noch einmal zu spielen. Zweimal, dreimal spiele ich es, lasse mich braten, lasse mich kühlen. Alle Leidenschaft, alle Mühsal und aller Reiz des Lebens ist in diesem Spiel gespiegelt, alles Rennen und Ruhen, Brennen und Erlöschen, Rasen und Erschlaffen.
    Tiefe Müdigkeit wäscht mir den Staub von der Seele, weht mir die Sorgen aus dem Gedächtnis. Faul und brummend liege ich hingestreckt, nicht mehr heiß, nicht mehr kühl, nur müde, nur sehr müde. Zuweilen höre ich einen Vogel flattern, einen Fisch springen, einen stärkeren Wind im Schilf aufrauschen, zuweilen höre ich sprechen, lachen, höre Wasser spritzen, höre nackte Füße im Sande laufen, manche gehen über mich hinweg. Buben und Jünglinge aus den nahen Dörfern sind zum Bad gekommen. Ich blinzle nur und brumme. Einmal schaue ich eine Weile auf. Der schöne Jüngling mit dem Hund ist da. Ein junger Athlet, stark, schön und braun, wunderbarer Schwimmer, ein rotes Tuch ums schwarze Haar, kommt jeden Tag, mit einem langhaarigen kleinen Hund, es muß eine Art Wachtelhund sein. Er schwimmt wieein Fischotter, den Kopf fast immer unter Wasser, und überall schwimmt sein Hund ihm nach. Ich blicke ihm nach, sehe ihn wegschwimmen, sehe ihn untertauchen, laut bellend sucht ihn sein Hund, weit weg taucht er wieder empor, hänselt das Tier, spritzt und balgt sich mit ihm.
    Die Sonne ist tiefer gesunken, viel Zeit ist vergangen, vielleicht habe ich geschlafen. Ich richte mich auf, wische mir Steinchen und Muschelscherben von den Schenkeln, bald werde ich Hunger spüren und gehen. Mit Mißvergnügen denke ich an den steilen Heimweg den Berg hinan. Und dann ist man wieder »zu Hause«, wieder in der Welt und Zeit, Abendbrot wartet, Post liegt da, Zeitungen, Briefe, unnütze Briefe, Bücher, unnütze Bücher, und all der Tand und Kram. Muß es denn sein?
    (Aus: »Strand«, 1921)
    // Trotz der drückenden Wärme dieser Tage bin ich viel draußen. Ich weiß allzu gut, wie flüchtig diese Schönheit ist, wie schnell sie Abschied nimmt, wie plötzlich ihre süße Reife sich zu Tod und Welke wandeln kann. Und ich bin so geizig, so habgierig dieser Spätsommerschönheit gegenüber! Ich möchte nicht nur alles sehen, alles fühlen, alles riechen und schmecken, was diese Sommerfülle meinen Sinnen zu schmecken anbietet; ich möchte es, rastlos und von plötzlicher Besitzlust ergriffen, auch aufbewahren und mit in den Winter, in die kommenden Tage und Jahre, in das Alter nehmen. Ich bin sonst nicht eben eifrig im Besitzen, ich trenne mich leicht und gebe leicht weg, aber jetzt plagt mich ein Eifer des Festhaltenwollens, über den ich zuweilen selber lächeln muß. Im Garten, auf der Terrasse, auf dem Türmchen unter der Wetterfahne setze ich mich Tag für Tag stundenlang fest, plötzlich unheimlich fleißig geworden, und mit Bleistift und Feder, mit Pinsel und Farben versuche ich dies und jenes von dem blühenden und schwindenden Reichtum beiseite zu bringen. Ich zeichne mühsam die morgendlichen Schatten auf der Gartentreppe nach und die Windungen der dicken Glyzinenschlangen und versuche die fernen gläsernen Farben der Abendberge nachzuahmen, die so dünn wie ein Hauch und doch so strahlend wie Juwelen sind. Müde komme ich dann nach Hause, sehr müde, und wenn ich am Abend meine Blätter in die Mappe lege, macht es mich beinah traurig, zu sehen, wie wenig von allem ich mir notieren und aufbewahren konnte.
    (Aus:
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