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Sommer unter dem Maulbeerbaum

Titel: Sommer unter dem Maulbeerbaum
Autoren: Jude Deveraux
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lassen wolle. »Entfernen« war das Wort, das ich tatsächlich gebrauchte, doch Jimmy versicherte mir immer, dass er mich so liebe, wie ich sei, und am Ende schien meine missratene Nase keine Rolle mehr zu spielen.
    Als ich hörte, was man alles über mich sagte, bereitete mir besagtes Riechorgan allerdings die wenigsten Sorgen. Wie soll ich nur meine Gefühle beschreiben, als ich vier angesehene Journalisten - drei Männer und eine Frau - um einen Tisch herum sitzen und darüber diskutieren sah, ob ich nun tatsächlich James Manville »in die Falle« gelockt hätte? Als ob ein Mann wie Jimmy von sich von irgendjemandem in eine Falle hätte locken lassen! Und das auch noch von einem siebzehnjährigen Mädchen! Nicht sehr wahrscheinlich.
    Anwälte äußerten sich darüber, ob ich rechtlich gesehen Anspruch auf einen Teil von Jimmys Geld hätte oder nicht.
    Doch als das Testament schließlich eröffnet wurde und herauskam, dass Jimmy alles seinen Geschwistern vermacht hatte, war ich mit einem Mal die Schande Amerikas. Alle schienen zu glauben, dass ich irgendwie den lieben kleinen Jimmy betört hatte (der Vergleich mit Salome wurde am häufigsten herangezogen), dass er es aber herausgefunden und mir in seinem letzten Willen das gegeben hatte, was ich verdiente.
    Phillip tat sein Bestes, mich von der Presse fern zu halten, aber das war nicht so einfach. Ich wollte ein Flugzeug besteigen und fortfliegen, mich vor allem verstecken - doch das stand nicht zur Debatte. Die Tage, in denen ich in ein Flugzeug springen und fliegen konnte, wohin ich wollte, gehörten der Vergangenheit an.
    Nach Jimmys Tod hielt ich mich sechs Wochen lang in Phillips weitläufigem Haus unter Verschluss, derweil die Gerichte sich mit seinem Testament beschäftigten und die Presse alles breittrat und wiederkäute, was ihr zu Ohren kam. Das einzige Mal, dass ich in diesen schrecklichen Wochen das Haus verließ, war, als ich zu Jimmys Beerdigung ging. Dort war ich allerdings so dicht hinter schwarzem Tüll versteckt, als ob ich gar nicht dabei gewesen wäre. Und auf keinen Fall wollte ich der Presse oder Atlanta und Ray die Genugtuung geben, mich weinen zu sehen.
    Als ich an der Kirche angekommen war, hatte man mir gesagt, ich dürfe nicht hinein, doch Phillip war darauf vorbereitet. Wie aus dem Nichts tauchte ein halbes Dutzend Männer mit dem Aussehen von Sumoringern auf und kreiste mich ein.
    So betrat ich Jimmys Beisetzung: ganz in schwarze Stoffmassen gehüllt und umgeben von sechs hünenhaften Männern.
    Inzwischen hatte ich eingesehen, dass Jimmy tatsächlich nie mehr wiederkommen würde, und nichts, was irgendjemand tat, spielte noch eine Rolle. Außerdem malte ich mir ständig die Farm aus, die er mir hinterlassen hatte. Einmal hatte Jimmy mich gebeten, ihm zu beschreiben, wo ich gerne wohnen würde.
    Ich hatte von einem schnuckeligen Häuschen in der Nähe eines Sees gesprochen, mit einer breiten Veranda und umgeben von hohen Bäumen. »Ich werde sehen, was ich tun kann«, hatte er erwidert und mich mit funkelnden Augen angelächelt. Doch das nächste Haus, das er erwarb, war eine Burg auf einer Insel vor der schottischen Küste, darin war es so kalt, dass mir selbst im August die Zähne klapperten.
    Auch nachdem das Testament als rechtskräftig bestätigt worden war, machte ich keine Anstalten, Phillips Haus zu verlassen. Da die Presse noch immer draußen herumschwirrte und Jimmy nicht mehr da war, schien es keine Rolle zu spielen, wo ich war oder was ich tat. Ich saß zusammen mit Phillip und seiner Familie - seiner Frau Carol und ihren beiden Töchtern - am Tisch, kann mich aber nicht daran erinnern, etwas gegessen zu haben.
    Phillip sagte mir schließlich, es sei an der Zeit, wieder zu gehen.
    »Ich kann nicht da hinausgehen«, sagte ich voller Angst mit einem Blick auf die Vorhänge, die ich Tag und Nacht zugezogen ließ. »Die warten doch nur auf mich.«
    Phillip nahm meine Hand in die seine und rieb mit der Handfläche gegen meine Haut. Obwohl ich keinen Ehemann mehr hatte, fühlte ich mich immer noch verheiratet. Ich zog meine Hand weg und sah ihn finster an.
    Doch Phillip lächelte nur. »Carol und ich haben uns unterhalten, und wir finden, Sie sollten ... na ja, Sie sollten verschwinden.«
    »Ah, ja«, erwiderte ich, »wie bei den Hindus. Die Frau steigt auf den Scheiterhaufen und folgt ihrem Mann ins Jenseits.«
    An Phillips Gesichtsausdruck konnte ich ablesen, dass ihm mein schwarzer Humor nicht gefiel. Jimmy hatte er schon
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